Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährung eines Erstattungsanspruchs des Sozialleistungsträgers

 

Orientierungssatz

1. Die Vorschrift des § 50 Abs. 4 SGB 10 regelt, wann ein Erstattungsbescheid des Sozialleistungsträgers verjährt. Gemäß S. 1 ist dies in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs der Fall, in dem der Verwaltungsakt nach Abs. 3 unanfechtbar geworden ist.

2. Eine neue 30-jährige Verjährungsfrist bei Unanfechtbarkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides beginnt nicht. Die 30-jährige Verjährungsfrist des § 52 Abs. 2 SGB 10 verdrängt nicht vollständig die vierjährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 S. 3 SGB 10. Über die Regelung in § 50 Abs. 4 S. 3 SGB 10 ist der Behörde gerade auch für Erstattungsansprüche die Möglichkeit eingeräumt, sich selbständig zu einer längeren Verjährungsfrist zu verhelfen, indem sie einen für die Verjährung hemmenden Verwaltungsakt i. S. des § 52 Abs. 1 SGB 10 erlässt. Wird diese Möglichkeit nicht genutzt, so verbleibt es bei der vierjährigen Verjährungsfrist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.03.2021; Aktenzeichen B 11 AL 5/20 R)

 

Tenor

Unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 09.02.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.02.2019 und des Bescheids vom 19.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.05.2019 wird festgestellt, dass die mit den Erstattungsbescheiden der Beklagten vom 19.08.2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 04.11.2011 geltend gemachten Forderungen wegen Verjährung erloschen sind.

Im Übrigen sind die Klagen abzuweisen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu drei Viertel zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts und sie wendet sich gegen eine Zahlungserinnerung vom 10.10.2017 wonach sie aufgefordert wurde 4.467,09 € an die Beklagte zu zahlen.

Am 30.01.2018 erhob die anwaltlich vertretene Klägerin die Einrede der Verjährung gemäß § 50 Abs. 4 SGB X. Zur Begründung führte sie aus, dass die angeforderten Beträge mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 19.08.2011 in der Gestalt des jeweiligen Widerspruchs-bescheides vom 04.11.2011 festgestellt worden seien. Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide seien spätestens im Dezember 2011 bestandskräftig geworden. Damit beginne zum 01.01.2012 die vierjährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 SGB X und die Verjährung sei somit mit Ablauf des 31.12.2015 eingetreten. Sie bitte daher darum, dass die geltend gemachten Forderungen in Höhe von insgesamt 4.467,09 € nicht weiterverfolgt und für erledigt erklärt würden.

Die Beklagte teilte unter dem 09.02.2018 mit, dass die Verjährungsfrist eines Bescheides, der unanfechtbar geworden sei, 30 Jahre betrage (§ 52 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 53 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz). Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 19.08.2011 seien unanfechtbar. Daher sei keine Verjährung der Forderung eingetreten.

Hierzu erwiderte die Klägerin, dass die ganz überwiegende Auffassung davon ausgehe, dass § 50 Abs. 4 SGB X im Rahmen des Erstattungsrechts eine Sonderregelung gegenüber § 52 SGB X für die Feststellung des Anspruchs durch Verwaltungsakt treffe, so ausdrücklich auch Baumeister in Juris PK-SGB X, § 50 Randnr. 160 und auch Schütze in von Wulffen, SGB X, 8. Auflage, § 50 Randnr. 33. Erst wenn zusätzliche Verwaltungsakte zur Durchsetzung des Anspruchs ergehen würden, würden diese dem § 52 SGB X unterfallen und eine 30-jährige Verjährungsfrist auslösen. Hier seien außer dem Erlass des Erstattungsbescheids keine weiteren Verwaltungsakte zur Durchsetzung der Erstattungsbeträge erlassen worden, so dass es bei der vierjährigen Verjährungsfrist verbleibe. Abschließend werde daher beantragt festzustellen, dass die mit den Erstattungsbescheiden vom 19.08.2011 geltend gemachte Forderung wegen Verjährung erloschen sei.

Nachdem mit Schreiben vom 16.08.2018 die Beklagte eine Verbescheidung abgelehnt hatte, erhob die Klägerin Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Mannheim unter dem Aktenzeichen S 7 AL 2400/18.

Die dort zu erkennende Kammer wies am 29.11.2018 darauf hin, dass in dem Schreiben vom 09.02.2018 alle Merkmale eines Verwaltungsaktes enthalten sein dürften und ein erneuter Feststellungsantrag, gegebenenfalls Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X von der Klägerin am 02.03.2018 gestellt worden sei. Eine Verbescheidung stehe demgemäß aber noch aus.

Daraufhin erhob die Klägerin gegen das Schreiben vom 09.02.2018 vorsorglich Widerspruch.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2019 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Rechtsgrundlage für die Verwaltungsvollstreckung seien die Erstattungsbescheide wegen zu Unrecht gewährter Leistungen nach dem Dritten Sozialgesetzbuch vom 19.08.2011 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 04.11.2011 in Höhe von insgesamt 4.467,09 €. Voraussetzung für die Einleitung der Vollstreckung seien die Erteilung eines Leistungsbescheides, die Fälligkeit der Forderung und der Ablauf einer Zahlungsfrist. Vor Anordnung der Vollstreckung solle der Schuldner besonders gemahnt we...

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