Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Kostenentscheidung. Billigkeitsgrundsätze. Verfassungswidrigkeit der Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Bemessung von Arbeitslosengeld. Gesetzgebungsmängel

 

Orientierungssatz

1. Bei der Entscheidung nach § 193 Abs 1 S 2 SGG ist der Rechtsgedanke des § 91a ZPO heranzuziehen, wonach das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen entscheidet und hierbei neben den Erfolgsaussichten der Klage auch die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung zu prüfen hat.

2. Waren die bei Erlass eines Bescheides über die Bewilligung von Arbeitslosengeld ohne Berücksichtigung von Einmalzahlungen angewandten Rechtsvorschriften nach Entscheidung des BVerfG (vom 24.5.2000 - 1 BvL 1/98 = SozR 3-2400 § 23a Nr 1) verfassungswidrig, so hat die Bundesanstalt für Arbeit (BA) die außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten, wenn bereits bei Entstehung des Arbeitslosengeldanspruchs ein Anspruch auf Herstellung einer verfassungsmäßigen Rechtslage bestand und der Rechtsstreit geführt werden mußte, um den Eintritt von Bestandskraft zu verhindern und eine nachträgliche Berücksichtigung der Einmalzahlungen zu ermöglichen. Dem steht nicht entgegen, dass die BA vor der gesetzlichen Neuregelung an der Berücksichtigung der Einmalzahlungen mangels entsprechender Rechtsgrundlage gehindert war.

3. Bei der Kostenentscheidung war der Grundsatz zu berücksichtigen, dass Mängel der Gesetzgebung jedenfalls nicht dem Bürger angelastet werden können und sich damit im Ergebnis zum Nachteil der Behörde auswirken (vgl BSG vom 5.8.1992 - 10 RKg 16/91 = DBlR 3974a, SGG/§ 193).

 

Gründe

Zwischen den Beteiligten war streitig, ob bei der Berechnung des der Antragstellerin ab 01.09.1997 zustehenden Arbeitslosengeldes Einmalzahlungen (hier Urlaubs- und Weihnachtsgeld) zu berücksichtigen waren.

Mit Entscheidung vom 24.05.2000 (1 BvL 1/98, 1 BvL 4/98 und 1 BvL 15/99) erklärte das Bundesverfassungsgericht die §§ 112 Abs. 1 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz i.d.F. vom 14.12.1987 (Bundesgesetzblatt I Seite 2602) und 134 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch i.d.F. vom 24.03.1997 (Bundesgesetzblatt I Seite 594) wegen Verstoßes gegen Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes für verfassungswidrig, soweit danach einmalig gezahltes Arbeitsentgelt zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen wird, ohne dass es bei der Berechnung sämtlicher beitragsfinanzierter Lohnersatzleistungen berücksichtigt wird. Außerdem verpflichtete das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber dazu, durch geeignete Regelungen sicherzustellen, dass einmalig gezahlte Arbeitsentgelte bei den Lohnersatzleistungen berücksichtigt werden, über deren Gewährung für die Zeit ab dem 01.01.1997 noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist.

Diese Verpflichtung setzte der Gesetzgeber mit dem am 01.01.2001 in Kraft getretenen Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz vom 21.12.2000 (Bundesgesetzblatt I, Seite 1971 folgende) um.

Mit Bescheid vom 13.02.2001 erkannte die Antragsgegnerin den von der Antragstellerin geltend gemachten Anspruch an.

Die Antragstellerin erklärte daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte, der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Wenn ein sozialgerichtliches Verfahren, wie hier, anders als durch Urteil erledigt wird, entscheidet das Gericht auf Antrag, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben (§ 193 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -- SGG --). Bei dieser Entscheidung ist der Rechtsgedanke des § 91 a Zivilprozessordnung -- ZPO -- heranzuziehen, wonach das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen entscheidet (vgl. auch Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz mit Erläuterungen, 6. Auflage, Randnummer 13 zu § 193). Hierbei sind neben den Erfolgsaussichten der Klage auch die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung zu prüfen (siehe Meyer-Ladewig, a.a.O., m.w.N. auf die Rechtsprechung).

Vorliegend entspricht des unter Berücksichtigung dieser Grundsätze der Billigkeit, dass die Antragsgegnerin die der Antragstellerin entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat.

Die Antragsgegnerin hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass nach dem Beschluss des Bundessozialgerichts vom 24.05.1991 (7 Rar 2/91) außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind, wenn der Erfolg der Klage nur auf einer Rechtsänderung während des Klageverfahrens beruht und dieser Rechtsänderung unverzüglich Rechnung getragen wird.

Dieser Beschluss ist jedoch für den hier zu entscheidenden Fall nicht einschlägig. Denn ihm lag ein Fall zugrunde, bei dem das bei Erlass der angefochtenen Entscheidung anzuwendende Recht nicht zu beanstanden und lediglich während des Klageverfahrens eine Rechtsänderung eingetreten war. Für diesen Fall ist es nachvollziehbar, dass die Verwaltung nicht allein wegen der Rechtsänderung mit Kosten belastet werden soll, zu...

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