aa) Anwendbarkeit und Anspruchsgrundlage

 

Rz. 82

Die systematische und historische Auslegung des § 49b Abs. 5 BRAO belegt, dass die dort statuierte Hinweispflicht zunächst berufsrechtlicher Natur ist (siehe Rdn 51). Der primär berufsrechtliche Regelungsgehalt der Norm schließt indes nicht aus, dass dem Auftraggeber infolge der Verletzung der anwaltlichen Hinweispflicht ein materiell-rechtlicher Schaden entsteht. Dann muss der Mandant aber auch die Möglichkeit haben, gegen den von ihm beauftragten Rechtsanwalt einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Das Berufsrecht entfaltet dabei im Hinblick auf die zivilrechtlichen Haftungsansprüche des Auftraggebers keine Sperrwirkung.[42] Auch für andere Grundpflichten des Rechtsanwalts ist anerkannt, dass deren Verletzung Haftungsansprüche des Auftraggebers auslösen kann, beispielsweise für die Verletzung der in § 43a Abs. 5 BRAO, § 4 BORA geregelten Pflichten beim Umgang mit fremden Vermögenswerten.[43]

 

Rz. 83

Die richtige Anspruchsgrundlage gibt der Wortlaut des § 49b Abs. 5 BRAO mittelbar vor. Danach hat der Anwalt seinen Hinweis "vor" der Übernahme des Auftrags zu erteilen. Unterlässt er dies, hat er eine Pflichtverletzung im Stadium der Vertragsverhandlungen, mithin vor Abschluss des Mandatsvertrages, begangen. Etwaige Schadensersatzansprüche des Auftraggebers richten sich daher nach den §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB (c.i.c.).[44]

[42] Grundlegend BGH 24.5.2007 – IX ZR 89/06, AGS 2007, 386 m. Anm. Schons = RVGreport 2007, 316 (Hansens) = NJW 2007, 2332; ebenso BGH 9.7.2008 – IX ZR 135/08, AGS 2009, 495; OLG Hamm AGS 2009, 428 = AnwBl 2010, 143; LG Kiel AGS 2009, 264; OLG Brandenburg AGS 2009, 315 = JurBüro 2008, 364; LG Berlin AGS 2007, 390 m. Anm. Schons; Henke, AnwBl. 2007, 707; Hansens/Braun/Schneider, Teil 1 Rn 112; Hansens, ZAP 2005, 885, 888; Hartmann, NJW 2004, 2484; anderer, aber nicht überzeugender Ansicht AG Charlottenburg AGS 2007, 232 m. Anm. Schons = AnwBl 2007, 377; dem folgend v. Seltmann, NJW-Spezial 2007, 285; widersprüchlich Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 17. Aufl., § 4 Rn 98; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl. 2007, Teil A "Hinweispflicht" Rn 9.
[43] So ausdrücklich BGH 24.5.2007 – IX ZR 89/06, AGS 2007, 386, 388 = NJW 2007, 2332, 2334 unter Berufung auf Hansens, RVGreport 2004, 443, 448 und Rick, AnwBl 2006, 648, 650. Zu den berufsrechtlichen Pflichten des Anwalts beim Umgang mit Fremdgeldern Kilian/vom Stein/Rick, 2005, § 29 Rn 370 ff., 392 ff.
[44] BGH 24.5.2007 – IX ZR 89/06, AGS 2007, 386, 388 = NJW 2007, 2332, 2334; LG Berlin AGS 2007, 390; Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, 2007, Rn B 373. Ebenso Hansens, ZAP 2005, 885, 888; ders., RVGreport 2004, 183 und 443, 448, der eine Haftung nach c.i.c. annimmt. Unzutreffend dagegen Bischof/Jungbauer/Bischof, RVG, § 1 Rn 48 und Hartung, MDR 2004, 1092, 1094, die von einem Anspruch aus positiver Forderungsverletzung ausgehen. Die dogmatische Einordnung ist mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen beider Anspruchsgrundlagen (Ersatz des negativen Interesses bei der c.i.c. = §§ 280, 311 BGB einerseits und des positiven Interesses bei der pVV = § 280 Abs. 1 BGB anderseits) auch von praktischer Relevanz.

bb) Haftung nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB

(1) Vorvertragliches Schuldverhältnis

 

Rz. 84

Der zeitliche Anwendungsbereich eines Schadensersatzanspruchs nach den §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB ist mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen, der Anbahnung eines Vertrages oder ähnlicher geschäftlicher Kontakte eröffnet (vgl. § 311 Abs. 2 BGB). Diese Voraussetzung wird in dem für die Erteilung des Hinweises maßgeblichen Zeitpunkt (siehe Rdn 71 ff.) regelmäßig erfüllt sein. Nach der Aufnahme von Vertragsverhandlungen zwischen dem Anwalt und seinem Auftraggeber – also im Regelfall mit dem zwischen Anwalt und potentiellem Auftraggeber geführtem Erstgespräch – ist regelmäßig ein Schuldverhältnis i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB entstanden.[45]

(2) Pflichtverletzung

 

Rz. 85

Auch die Geltendmachung einer anwaltlichen Pflichtverletzung wird den Auftraggeber in einem Schadensersatzprozess vor keine Probleme stellen. Den Rechtsanwalt treffen bereits im Stadium der Vertragsverhandlungen zivilrechtliche Aufklärungspflichten, die sich auch auf das für den Mandanten bestehende Kostenrisiko erstrecken können.[46] § 49b Abs. 5 BRAO statuiert eine spezielle vorvertragliche Hinweispflicht nunmehr ausdrücklich. Diese Vorschrift verpflichtet den Anwalt auch zivilrechtlich; er hat die Belehrung nach § 49b Abs. 5 BRAO zur Vermeidung etwaiger Haftungsansprüche daher ungefragt zu erteilen. Die berufs- und zivilrechtliche Pflichtenstellung des Anwalts ist insoweit identisch, zumal die Hinweispflicht neben ihrer berufsrechtlichen Intention auch dem Schutz der Dispositionsfreiheit des Mandanten dient (siehe Rdn 52).

[46] Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl. 2003, Rn 260 ff.; zur vorvertraglichen Aufklärungspflicht des Anwalts auch AG Neuss AnwBl. 1987, 284; Greißinger, AnwBl 1982, 288, 290; siehe allgemein auch Palandt/Heinrichs, BGB, § 280 Rn 30.

(3) Verschulden

 

Rz. 86

Verteidigungsmöglichkeiten de...

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