Leitsatz (amtlich)

1. Wer als selbständiger Bereiter "Problempferde" bereitet und hierbei einen Unfall erleidet, kann den Pferdehalter grundsätzlich auch dann aus Tierhalterhaftung (§ 833 BGB) in Anspruch nehmen, wenn bei besonders problematischem Verhalten des Pferdes der Tierhalter ihm konkret das weitere Bereiten anheimgestellt hat. Denn allein hierdurch wird der Bereiter nicht aus dem Vertragsverhältnis zum Pferdehalter entlassen und handelt daher auch nicht "auf eigene Gefahr".

2. Reitet der Bereiter in einer derartigen Situation dennoch und wird vom Pferd abgeworfen, kann allerdings sein Schadensersatzanspruch in Anwendung des § 254 BGB zu kürzen sein (im konkreten Fall auf 50 %).

 

Verfahrensgang

LG Kiel (Urteil vom 10.10.2014; Aktenzeichen 5 O 515/13)

BGH (Aktenzeichen VI ZR 400/15)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 10.10.2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des LG Kiel - 5 O 515/13 - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 38.260,92 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2013 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin den weiteren materiellen Schaden, der auf den Sturz des Versicherungsnehmers Brugger vom 30.1.2012 kausal zurückzuführen ist und auf die Klägerin übergehen wird, zu 50 % zu ersetzen hat.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin und die Beklagte jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Jedoch können die Parteien die Vollstreckung des jeweils anderen Teils durch Sicherheitsleistung in genannter Höhe abwenden, wenn nicht zuvor die Gegenseite Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht wegen eines Reitunfalls eines Versicherungsnehmers der Klägerin.

Die Klägerin ist privater Krankenversicherer des Pferdefachwirtes A. (im Folgenden: Versicherungsnehmer), welcher als selbständiger Bereiter und Reitlehrer tätig ist. Der Versicherungsnehmer schloss mit der Beklagten einen Vertrag, nach dem er das von der Beklagten gehaltene Pferd "S." ausbilden und ihm vorhandene Unarten wie Schlagen, Buckeln und Steigen abgewöhnen sollte. Nachdem der Versicherungsnehmer das Pferd bereits vier Monate ausgebildet und mit diesem auch an Turnieren teilgenommen hatte, sollte am 30.1.2012, dem Tag des Unfalls, eine weitere Unterrichtseinheit erfolgen. Die Beklagte longierte das Pferd vor dem Bereiten, wobei für die Beklagte und den Versicherungsnehmer erkennbar war, dass das Pferd an diesem Tag wiederum bockte und stieg. Die Beklage bot dem Versicherungsnehmer darauf an, das Pferd an diesem Tag nicht zu reiten oder es zunächst weiter zu longieren. Der Versicherungsnehmer erklärte gegenüber der Beklagten jedoch, er müsse die Konfrontation mit dem Pferd eingehen, um den bisherigen Ausbildungserfolg nicht zu gefährden. Als der Versicherungsnehmer das Pferd im Anschluss ritt, schlug es aus, buckelte und stieg über einen Zeitraum von etwa 10 Minuten hinweg, bis es zum Abwurf des Versicherungsnehmers kam. Der Versicherungsnehmer schlug mit dem Kopf auf dem Hallenboden auf und zog sich Frakturen im HWS-Bereich zu. Die hierdurch entstandenen Heilbehandlungskosten i.H.v. 76.521,84 EUR wurden von der Klägerin an den Versicherungsnehmer gezahlt. Die hinter der Beklagten stehende Haftpflichtversicherung lehnte mit Schreiben vom 24.5.2013, der Klägerin zugegangen am 27.5.2013, die Übernahme der Haftung ab.

Die Klägerin hat behauptet, der Versicherungsnehmer habe dem Pferd der Beklagten bis zu dem Vorfall am 30.1.2012 weitestgehend die vorhandenen Unarten abgewöhnt, im Januar 2012 habe sich die Ausbildung auf die sportliche Förderung des Pferdes konzentriert. Zudem sei es dem Versicherungsnehmer am Unfalltag nicht möglich gewesen, sich dem Beritt zu entziehen, ohne den bis dahin erzielten Ausbildungserfolg zu gefährden.

Die Klägerin hat mit der am 11.12.2013 zugestellten Klage beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 76.521,84 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.5.2013 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat demgegenüber behauptet, es habe bis zum Januar 2012 nur eine leichte Verbesserung hinsichtlich der Unarten des Pferdes gegeben. Zudem hat die Beklagte die von der Klägerin geltend gemachten Behandlungskosten der Höhe nach im Hinblick auf das Medikament L. und Rechnungen des Rehabilitationszentrums N. bestritten.

Das LG, auf dessen Urteil gem. § 540 Abs. 1, Satz 1 ZPO wegen der näheren Einzelheiten verwiesen wird, hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass bereits vieles für einen Ausschluss der Haftung der Beklagten unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr spreche. Von dem Pferd S. sei am 30.1.2012 aufgrund seiner vor...

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