Leitsatz (amtlich)
1. Eine Fristversäumnis ist verschuldet, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre. Bei der Unterzeichnung eines fristwahrenden Schriftsatzes muss sich der Rechtsanwalt davon überzeugen, dass das richtige Empfangsgericht angegeben ist.
2. Seit dem 01.01.2022 müssen vorbereitende Schriftsätze gemäß § 130d ZPO als elektronisches Dokument eingereicht werden. Gemäß § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO wird dem Absender nach der Übermittlung eine "automatisierte Bestätigung" über den Zeitpunkt des Eingangs erteilt. Dieses Prüfprotokoll ist unverzüglich vom Rechtsanwalt auch im Hinblick auf die ordnungsgemäße Versendung an das zuständige Gericht zu kontrollieren.
3. Die Ursächlichkeit einer Falschadressierung an ein unzuständiges Gericht für die Fristversäumung entfällt, wenn das an sich schuldhaftes Verhalten sich wegen eines Fehlers des Gerichts nicht entscheidend auswirkt. Kausalität ist in solchen Fällen nur dann nicht gegeben, wenn die Fristversäumung bei pflichtgemäßer Weiterleitung des Schreibens an das zuständige Gericht vermieden worden wäre. Die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Gericht muss jedoch im "ordentlichen Geschäftsgang" erwartet werden können. Besondere Bemühungen des unzuständigen Gerichts (wie z.B. eine eingehende Zuständigkeitsprüfung und sofortige Weiterleitung noch am selben Tag) sind insoweit nicht geschuldet.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, § 130a Abs. 5 S. 2, §§ 130d, 233, 517
Tenor
1. Der Antrag des Klägers vom 07.02.2022 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers gegen das am 17.12.2021 verkündete und am 21.12.2021 zugestellte Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg wird als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Berufungsfrist beim zuständigen Oberlandesgericht Schleswig eingegangen ist.
3. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
4. Der Streitwert für den zweiten Rechtszug wird auf 42.018,43 EUR (Klage 40.000 EUR + Widerklage 2.018,43 EUR) festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt den Beklagten wegen behaupteter arglistig verschwiegener Mängel (Grundstückskaufvertrag vom 09.04.2018, H. 4 in ... S) auf Minderung des Kaufpreises in Höhe von 40.000 EUR in Anspruch. Der Beklagte nimmt den Kläger widerklagend auf Zahlung von Betriebsmitteln und öffentliche Abgaben (insgesamt 2.018,43 EUR) in Anspruch.
Die Klage wurde durch das Landgericht Flensburg erstmals mit Urteil vom 23.10.2020 abgewiesen. Auf die dagegen eingelegte Berufung des Klägers wurde die vorgenannte Entscheidung mit Urteil des OLG Schleswig vom 26.03.2021 (7 U 190/20) aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Flensburg zurückgewiesen. Mit Urteil des Landgerichts Flensburg vom 17.12.2021 wurde die Klage erneut abgewiesen und der Kläger auf die Widerklage verurteilt, an den Beklagten 2.018,43 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2018 zu zahlen. Das Urteil wurde am 21.12.2021 zugestellt.
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben gegen dieses Urteil am 21.01.2022 zunächst Berufung beim unzuständigen Landgericht Flensburg eingelegt. Schließlich haben sie mit Schriftsatz vom 07.02.2022 (Bl. 365 ff.) Berufung beim zuständigen OLG Schleswig eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sie meinen, die Berufungsfrist sei unverschuldet versäumt worden. Sie hätten erst die beantragte Kostendeckung durch die Roland Rechtsschutzversicherung abgewartet, die entsprechende Zusage habe erst am letzten Tag der Berufungsfrist (Freitag, 21.01.2022) vorgelegen. Daraufhin sei die Berufungsschrift umgehend ausgefertigt und per beA am 21.01.2022 um 10:58 Uhr an das Landgericht Flensburg übermittelt worden. Der Versand durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers (Frau Rechtsanwältin M.) sei "problematisch" gewesen, weshalb sie ihre Sekretärin, die Zeugin R., zur Hilfe gerufen habe. Beiden fiel nicht auf, dass die Berufung falsch adressiert war. Wegen des drohenden Fristablaufs und der Notwendigkeit, weitere umfangreiche Akten zu bearbeiten, fiel der Prozessbevollmächtigten des Klägers dieser Umstand weder bei der Übersendung per beA noch bei der anschließenden Kontrolle der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO auf.
II. 1. Der Antrag des Klägers vom 07.02.2022 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist ist unbegründet, weil keine Tatsachen vorliegen, wonach der Kläger ohne Verschulden an der Wahrung der Frist gehindert war. Bei der einmonatigen Berufungsfrist handelt es sich um eine Notfrist (§ 517 ZPO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nach § 233 S. 1 ZPO nur gewährt, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten. Dabei muss sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Hinsichtlich des zuzurechnenden anwaltlichen Ver...