Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung von im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten des Wehrdienstes in der gesetzlichen Rentenversicherung. Verfassungsmäßigkeit des § 256a Abs 4 SGB 6

 

Leitsatz (amtlich)

Für im Beitrittsgebiet geleistete Wehrdienstzeiten vor dem 1.1.1992 sind gemäß § 256a Abs 4 SGB VI bei der Bewertung von Beitragszeiten für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte zugrunde zu legen. Dies gilt auch für im Beitrittsgebiet im Zeitraum vom 1.5.1961 bis 31.12.1981 abgeleisteten Wehrdienst. Die insoweit von der Bewertung des Wehrdienstes in den alten Bundesländern gemäß § 256 Abs 3 SGB VI abweichende Bewertung verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 oder Abs 3 S 1 GG. Denn die in den alten Bundesländern erfolgte Beitragszahlung für den Wehrdienst, die im Beitrittsgebiet nicht vorgesehen war, stellt einen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung dar.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 22.12.2022; Aktenzeichen B 5 R 119/22 B)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 22. Juni 2020 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt, ihm unter Bewertung der Pflichtbeitragszeit wegen der Ableistung seines Grundwehrdienstes 1,0 statt 0,75 Entgeltpunkte (Ost) pro Jahr eine höhere Altersrente zu zahlen.

Der Kläger ist 1955 geboren. Vom 03.05.1979 bis 31.10.1980 leistete er seinen Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA). Mit Bescheid vom 28.06.2019 gewährte ihm die Beklagte eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 01.07.2019 in Höhe eines Zahlbetrages von 1.073,63 Euro. Dabei berücksichtigte sie die Zeit des Wehrdienstes als Pflichtbeitragszeit und bewertete diese mit 0,75 Entgeltpunkten pro Jahr. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2019 zurück. Der Wehrdienst sei entsprechend den gesetzlichen Vorschriften bewertet worden.

Die hiergegen am 27.09.2019 erhobene Klage hat das Sozialgericht Dresden mit Gerichtsbescheid vom 22.06.2020 abgewiesen. Das Sozialgericht ist davon ausgegangen, dass für das Begehren des Klägers, bei der Bewertung der Pflichtbeitragszeit wegen der Ableistung des Grundwehrdienstes 1,0 statt 0,75 Entgeltpunkte (Ost) zugrunde zu legen, keine Rechtsgrundlage bestehe. Die Beklagte habe zu Recht für den abgeleisteten Wehrdienst bei der NVA in der ehemaligen DDR für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte zugrunde gelegt. Diese Vorgehensweise ergebe sich aus § 256a Abs. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Danach seien für Zeiten vor dem 01.01.1992, in denen Personen aufgrund gesetzlicher Pflicht mehr als drei Tage Wehrdienst oder Zivildienst im Beitrittsgebiet geleistet hätten, für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte, für jeden Teilzeitraum der entsprechende Anteil zugrunde zu legen. Da der Kläger seinen Wehrdienst im Beitrittsgebiet geleistet habe, seien der Rentenberechnung entsprechend für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte zugrunde zu legen. § 256a Abs. 4 SGB VI verstoße auch nicht gegen das Grundgesetz. Eine Vorlage nach Art. 100 Grundgesetz (GG) komme daher nicht in Betracht. Sofern der Gesetzgeber in § 256 Abs. 3 SGB VI und § 256a Abs. 4 SGB VI danach differenziere, ob der Wehrdienst in den alten Bundesländern oder im späteren Beitrittsgebiet abgeleistet worden sei, liege darin kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland für den Wehrdienst erfolgte Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung könne für den in der DDR zurückgelegten Wehrdienst nicht fingiert werden. Die Unterschiede in der Beitragszahlung stellten ausreichende sachliche Gründe für die unterschiedliche rentenrechtliche Behandlung dar. Der Gesetzgeber habe die nach Zeiträumen gestaffelte Regelung des § 256 Abs. 3 SGB VI nicht auf den Wehrdienst in der DDR übertragen müssen.

Mit seiner gegen den ihm am 29.06.2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 23.07.2020 bei dem Sächsischen Landessozialgericht eingelegten Berufung macht der Kläger weiter die Bewertung der Zeit seines Wehrdienstes mit 1,0 Entgeltpunkten statt mit 0,75 Entgeltpunkten geltend. Ein sachlicher Grund für die Differenzierung bei der rentenrechtlichen Bewertung des Wehrdienstes in der Bundesrepublik und dem Beitrittsgebiet im Zeitraum zwischen 01.05.1961 und 31.12.1981 sei nicht ersichtlich. Zwar seien die Zeiten des Wehrdienstes bei der NVA der DDR nach dem Recht der DDR keine Beitragszeiten gewesen, gleichwohl seien sie bei Begründung und Höhe des Rentenanspruchs aber wie Beitragszeiten behandelt worden. Entgegen der vom Sozialgericht geäußerten Rechtsauffassung sei auch die pauschale Beitragszahlung des Bundes keine einen höheren Leistungsanspruch begründende Beitragszahlung in dem Sinn, dass es sich um Rentenversicherungsbeiträge handele, die nach dem Beitragsrecht bemessen seien und sich individuell zuordnen ließen. Eine indi...

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