Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld. Arbeitslosenhilfe. Anwartschaftszeit. Beschäftigung. unentgeltliche Pflege. Arbeitsbereitschaft. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zeiten der unentgeltlichen Pflege stehen nicht über § 107 AFG den Zeiten einer Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gemäß § 168 AFG gleich und können daher nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit in § 427 Abs. 3 SGB III dienen.

2. Die subjektive Tatsache der Arbeitsbereitschaft i. S. von § 119 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 SGB III kann nicht über den Herstellungsanspruch ‘hergestellt’ werden.

3. Der Rechtsfrage, ob die Verlängerung der Rahmenfrist des § 124 SGB III bzw. die Verlängerung der Vorfrist des § 192 Abs. 2 Nr. 3 ausreichend ist, den im Arbeitsförderungsrecht gebotenen Ausgleich zwischen den Interessen der Versichertengemeinschaft und Pflegepersonen vorzunehmen, kommt grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG zu.

 

Normenkette

SGB III § 124 Abs. 2-3, § 427 Abs. 3, § 147 Abs. 2, § 119 Abs. 2, 4, § 192 Abs. 2 Nr. 3; AFG §§ 107, 168; SGG § 160 Abs. 2

 

Verfahrensgang

SG Leipzig (Urteil vom 17.01.2002; Aktenzeichen S 11 AL 616/99)

 

Tenor

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 17. Januar 2002 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Verfahrensinstanzen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) oder Arbeitslosenhilfe (Alhi) zusteht.

Die am … 1941 geborene Klägerin war von 1956 bis 28. Februar 1994 bei den V. P. werken in C. tätig.

Am 19. Januar 1994 meldete sich die Klägerin zum 01. März 1994 arbeitslos.

Mit Bescheid vom 02. Februar 1994 bewilligte die Beklagte Alg mit einer Anspruchsdauer von 676 Tagen.

Die Klägerin schränkte ab dem 15. April 1995 ihre Verfügbarkeit auf Tätigkeiten mit 18 Arbeitsstunden wöchentlich ein, da sie die Pflege ihrer Mutter aufnahm. Die Beklagte änderte daraufhin die bisherige Bewilligung von Alg dahin ab, dass ab 15. April 1995 ein entsprechend herabgesetztes Bemessungsgentgelt (220,00 DM wöchentlich) Grundlage der Leistung bildete.

Mit Veränderungsmitteilung vom 25. September 1995 teilte die Klägerin mit, sie sei wegen Pflege ihrer Mutter ab dem 01. Oktober 1995 nicht mehr verfügbar.

Mit Bescheid vom 06. Oktober 1995 hob die Beklagte daraufhin den Bescheid über die Bewilligung von Alg ab dem 01. Oktober 1995 auf. Am 30. September 1995 belief sich die Restanspruchsdauer noch auf 179 Tage. Zuletzt betrug der tägliche Zahlbetrag 17,70 DM.

Am 20. Juli 1999 meldete sich die Klägerin erneut arbeitslos und beantragte Alg. Die Pflege der Mutter hatte vom 01. Oktober 1995 bis zum Tod der Mutter am 19. Juli 1999 gedauert. Mit streitigem Bescheid vom 28. Juli 1999 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, da die Klägerin nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Ein Anspruch auf Alhi bestehe ebenfalls nicht, da innerhalb der Vorfrist von 1 Jahr vor dem 20. Juli 1999 weder Alg bezogen worden sei noch die Klägerin fünf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sie nicht darauf hingewiesen worden sei, ihren Anspruch nach Ablauf einer Frist zu verlieren. Sie habe davon ausgehen müssen, dass nach Beendigung der Pflege der Mutter ein weiterer Zahlungsantrag erfolgreich gestellt werden könne. Mit der Einführung des Pflegegesetzes sei nicht beabsichtigt gewesen, Pflegende nach Beendigung der Pflegetätigkeit in das soziale und finanzielle Aus zu schicken. Weder in den Bescheiden von Oktober 1995 noch in der persönlichen Vorsprache vor Aufnahme der Pflegetätigkeit sei sie auf die Konsequenzen hingewiesen worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09. September 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Auch innerhalb der erweiterten Rahmenfrist, die gemäß § 124 Abs. 3 SGB III verlängert sei, habe die Klägerin nicht mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Der früher bestandene Anspruch auf Alg könne nicht mehr geltend gemacht werden, da seit seiner Entstehung 4 Jahre kalendermäßig verstrichen seien.

Anspruch auf Alhi habe die Klägerin ebenfalls nicht, da sie in der Vorfrist von einem Jahr weder Alg bezogen noch mindestens 5 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe.

Hiergegen hat die Klägerin beim Sozialgericht Leipzig (SG) Klage erhoben und ausgeführt, dass dann, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt der drohende Verlust der sozialen Absicherung bekannt geworden wäre, innerhalb der Familie eine andere Lösung für die Übernahme der Pflege gefunden worden wäre.

Mit Urteil vom 17. Januar 2002 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 20. Juli 1999 Alg zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, zu Gunsten der Klägerin greife ein Herstellungsanspruch auf Fortzahlung von Alg im Umfang von 179 Tagen ein.

Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Kl...

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