Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Auszubildende. Einkommensberücksichtigung. fiktives Einkommen. Nachrangigkeit der Leistungen nach dem SGB 2. Antragsrecht des Grundsicherungsträgers. einstweiliger Rechtsschutz. Leistungen für vergangene Zeiträume

 

Orientierungssatz

1. Der Leistungsausschluss für Auszubildende nach § 7 Abs 5 SGB 2 greift nicht bei einem Schüler, der lediglich Anspruch auf den Grundbedarfssatz nach BAföG hätte und der noch in der Elternwohnung wohnt. Vielmehr findet § 7 Abs 6 Nr 2 SGB 2 Anwendung.

2. Fiktives Einkommen (hier: BAföG) ist nach § 11 SGB 2 nicht zu berücksichtigen. Trotz der Nachrangigkeit der Leistungen nach § 2 Abs 1 SGB 2 kann Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs 1 SGB 2 gegeben sein, wenn der Hilfebedürftige die Mittel tatsächlich nicht erhält. Mit dem Abstellen auf den "Erhalt" der Hilfe anderer unterstreicht § 9 Abs 1 SGB 2 im Einklang mit den früheren Regelungen des BSHG, dass einerseits alle berücksichtigungsfähigen Mittel anzurechnen sind, also auch solche, zu deren Erbringung ein Hilfeleistender rechtlich nicht verpflichtet ist, andererseits aber auch nur diejenigen, die wirklich zugegangen sind, also so genannte bereite gegenwärtige Mittel, die vom Bedachten verwendet werden können, um seine Unterhaltsbedürfnisse zu befriedigen.

3. Der Nachrangigkeit der Leistungen nach SGB 2 wird durch die Regelung des § 5 Abs 3 SGB 2 Genüge getan, nach der der Leistungsträger den BAföG-Antrag selbst stellen kann.

4. Einstweilige Anordnungen, die sich auf vergangene Zeiträume beziehen, scheiden grundsätzlich aus (vgl LSG Hamburg vom 4.3.2005 - L 3 B 43/05 ER SO = SAR 2005, 62). Von diesem Grundsatz ist dann eine Ausnahme geboten, wenn die Vorwegnahme der Hauptsache durch die Erfolgsaussicht des Begehrens gerechtfertigt erscheint.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 14. Juli 2005 wird abgeändert.

Die Beschwerdegegnerin wird verpflichtet, der durch den Beschwerdeführer vertretenen Bedarfsgemeinschaft für den Zeitraum vom 03. August 2005 bis zum 30. September 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 813,27 € monatlich zu zahlen und dem Beschwerdeführer den sich hieraus ergebenden Nachzahlungsbetrag auszuzahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen im vollen Umfang zu erstatten.

 

Tatbestand

Der 1962 geborene Beschwerdeführer (Bf.) lebt in einem gemeinsamen Haushalt mit seinem am 12. Oktober 1987 geborenen Sohn A. (A.), der eine private Berufsfachschule besucht. Für diesen werden ihm monatlich 154,00 € Kindergeld gezahlt.

Nach einer Aktennotiz vom 22. Dezember 2004 soll die schulische Ausbildung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) dem Grunde nach förderfähig sein. Der Bf. habe den dafür notwendigen Antrag jedoch noch nicht gestellt. Im September 2004 sei daher wegen fehlender Mitwirkung die Hilfe zum Lebensunterhalt abgelehnt und die entsprechende Zahlung ab Oktober 2004 eingestellt worden. Der Bf. habe für seinen Sohn diesen Antrag zu stellen. Erfolge dies nicht, sei ein Betrag von 192 € fiktiv anzurechnen.

Die mit Bescheid vom 28. Dezember 2004 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 11. Januar 2005 für die Bedarfsgemeinschaft ab Januar 2005 in Höhe von 581,27 € monatlich bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) setzte die Beschwerdegegnerin (Bg.) auf Widerspruch des Bf., mit welchem er sich insbesondere gegen die fiktive Berücksichtigung des A. zustehenden BAföG in Höhe von 192,00 € monatlich gewandt hatte, mit weiterem Änderungsbescheid vom 01. April 2005 unter Anerkennung eines Mehrbedarfes für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 SGB II auf 621,27 € fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2005 wies sie die Widersprüche im Übrigen zurück. Nach § 2 Abs. 1 SGB II sei die nicht in Anspruch genommene BAföG-Leistung von 192,00 € auf den Bedarf anzurechnen. Nach § 5 Abs. 1 SGB II i.V.m. §§ 12 und 18 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) habe die Gewährung von BAföG-Leistungen an den minderjährigen Sohn A. Vorrang vor der Gewährung von Alg II. Bereits im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz sei der Bf. vom Sozialamt “beauflagt" worden, die Antragstellung für den minderjährigen Sohn insoweit vorzunehmen. Dieser Aufforderung sei er nicht nachgekommen. Daher sei die Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Zeit ab 01. Oktober 2004 aufgehoben worden. Nach § 2 Abs. 1 SGB II könne das Alg II in Höhe der BAföG-Leistung nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG (192,00 €) nicht erbracht werden, weil der Bf. als erwerbsfähiger Hilfebedürftiger bzw. sein in der Bedarfsgemeinschaft mit ihm lebender minderjähriger Sohn A. nicht alle Möglichkeiten zur Verringerung der Hilfebedürftigkeit ausgeschöpft hätten. Daher sei eine fiktive Anrechnung der BAföG-Leistung vorzunehmen. Ein Verzicht ...

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