Leitsatz (amtlich)

Eine Abhilfeentscheidung muss bis zu ihrer Entäußerung aus dem inneren Geschäftsbetrieb des Gerichtes neuen Entwicklungen und Ereignissen, insbesondere zwischenzeitlichem Vortrag eines Beteiligten, angepasst werden. Für die Annahme solcher Entäußerung ist erforderlich, dass der Beschluss die Geschäftsstelle mit der unmittelbaren Zweckbestimmung verlassen hat, den Beteiligten bekannt gegeben zu werden.

 

Verfahrensgang

AG Völklingen (Beschluss vom 25.04.2012; Aktenzeichen 8 F 225/11 VKH1)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des AG - Familiengericht - in Völklingen vom 25.4.2012 - 8 F 225/11 VKH1 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das AG - Familiengericht - in Völklingen zurückverwiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die als sofortige Beschwerde zu behandelnde und mit dieser Maßgabe nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. §§ 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige "Beschwerde" der Antragsteller hat - vorläufigen - Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht zur erneuten Behandlung und Entscheidung.

Der angefochtene Beschluss kann keinen Bestand haben. Denn die Versagung von Verfahrenskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung wird von den Gründen der angegangenen Entscheidung und des Nichtabhilfebeschlusses des Familiengerichts vom 14.6.2012 nicht mehr getragen, sondern beruht auf einer Verletzung des den Antragstellern grundrechtsgleich verbrieften Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfG FamRZ 1992, 782). Dieses grundrechtsgleiche Recht ist verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht zur Kenntnisnahme und Erwägung von Beteiligtenvorbringen nicht nachgekommen ist. Diese Grundsätze gelten auch im Abhilfeverfahren (§ 572 ZPO), in dem das Gericht darüber zu entscheiden hat, ob es die Beschwerde für begründet hält und ihr abhilft oder sie dem Beschwerdegericht vorlegt; denn es besteht die Amtspflicht, den Inhalt der Beschwerdeschrift daraufhin zu überprüfen, ob die angefochtene Entscheidung ohne Vorlage an das Beschwerdegericht zu ändern ist. Enthält die Beschwerde kein neues Vorbringen, kann die Nichtabhilfe im Wege bloßer Bezugnahme auf das angegriffene Erkenntnis begründet werden. Andernfalls sind - mit Rücksicht auf § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO - vorgebrachte neue Tatsachen auch deshalb zu beachten und in die Prüfung einzubeziehen, weil mit dieser Vorschrift der Zweck verfolgt wird, die Kosten verursachende Befassung des Beschwerdegerichts mit der Sache zu vermeiden, wenn gebotene Korrekturen der Erstentscheidung unschwer durch das Erstgericht selbst vorgenommen werden können. Werden die maßgeblichen Ausführungen des Beschwerdeführers völlig oder jedenfalls im Kern übergangen, liegt daher ein erheblicher Verfahrensmangel vor, der regelmäßig die Aufhebung der angegangenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das Ausgangsgericht rechtfertigt (vgl. OLG Saarbrücken vom 23.8.2011 - 6 WF 92/11 -, FamRZ 2012, 319 m.w.N.).

Ein nicht zu verkündender Beschluss - so auch eine Nichtabhilfeentscheidung - ist erst erlassen, wenn er mit dem Willen des Gerichts aus dem inneren Geschäftsbetrieb herausgetreten ist. Der Übergang vom inneren Geschäftsbetrieb zum äußeren Geschäftsgang setzt voraus, dass das Gericht sich der Entscheidung entäußert hat; erst hierdurch werden nicht zu verkündende Entscheidungen existent und bindend. Für die Annahme solcher Entäußerung ist erforderlich, dass der Beschluss die Geschäftsstelle mit der unmittelbaren Zweckbestimmung verlassen hat, den Beteiligten bekannt gegeben zu werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Ausfertigung des Beschlusses in das Gerichtsfach eines Verfahrensbevollmächtigten eingelegt worden ist, aber auch schon dann, wenn der Gerichtswachtmeister eine Ausfertigung bei der Geschäftsstelle abgetragen hat, um sie in das Gerichtsfach des Verfahrensbevollmächtigten einzulegen oder zur Post(-stelle) zu geben (vgl. BGH NJW-RR 2004, 1574 m.w.N.). Bis zu diesem Zeitpunkt muss nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, der der Senat folgt, eine - noch nicht existente - Entscheidung erforderlichenfalls neuen Entwicklungen und Ereignissen, insbesondere zwischenzeitlichem Vortrag eines Beteiligten, angepasst werden (BVerfG NJW 1993, 51; BGH NJW 1997, 2524, jeweils m.w.N.).

Diese Maßstäbe hat das Familiengericht im Rahmen seines Abhilfeverfahrens aktenersichtlich verletzt.

Die Antragsteller haben in ihrer am 4.6.2012 eingegangenen Beschwerde deren Begründung angekündigt. Am 14.6.2012 hat das Familiengericht urschriftlich seine Nichtabhilfeentscheidung - die sich in einer Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses erschöpft - sowie deren Übersendung an die Beteiligten verfügt. Am 3.7.2012 ist beim...

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