Leitsatz (amtlich)

1. Zur im einstweiligen Anordnungsverfahren ausreichenden Glaubhaftmachung einer Tatsachenbehauptung - §§ 51 Abs. 1 S. 2, 31 FamFG - bedarf es nicht der vollen gerichtlichen Überzeugung, sondern genügt ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung, der bereits vorliegt, sofern bei freier Würdigung des gesamten Verfahrensstoffes eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft.

2. Im Wege einstweiliger Anordnung erlassene Gewaltschutzanordnungen müssen wegen des Hauptsachevorwegnahmeverbots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes grundsätzlich befristet werden, zumal die vorläufigen Schutzmaßnahmen aus Gründen des gebotenen effektiven Opferschutzes in ihrer persönlichen, örtlichen und gegenständlichen Reichweite meist den in einer deckungsgleichen Hauptsache zu erlassenden zumindest sehr nahe, wenn nicht gleichkommen, weshalb das Übermaßverbot zumeist nur noch im Wege der Befristung der vorläufigen Maßnahmen überhaupt Wirkkraft entfalten kann.

3. Bei der Bestimmung der Frist ist zu berücksichtigen, ob der Täter schon wiederholt die Rechtsgüter des Opfers verletzt oder dieses über einen längeren Zeitraum unzumutbar belästigt hat. Diesen Fällen kann eine längere Dauer der Schutzmaßnahmen angeordnet werden als bei einer einmaligen Rechtsgutsverletzung, deren Schwere ebenfalls eine längere Dauer der Verbote rechtfertigen kann.

 

Verfahrensgang

AG Saarbrücken (Entscheidung vom 05.03.2010; Aktenzeichen 39 F 477/09 EAGS)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - in Saarbrücken vom 5. März 2010 - Az. ... - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die in diesem Beschluss getroffenen Gewaltschutzanordnungen bis zum 5. September 2010 befristet werden.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Bezüglich der Kosten des ersten Rechtzuges bleibt es bei der erstinstanzlichen Entscheidung.

3. Der Verfahrenswert für die Beschwerdeinstanz wird auf 1.000 EUR festgesetzt.

4. Beiden Beteiligten wird - der Antragstellerin mit Wirkung vom 3. Mai 2010 unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwältin K., S., dem Antragsgegner mit Wirkung vom 25. März 2010 unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwalt A., S. - ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt.

 

Gründe

I.

Der Antragsgegner wendet sich gegen eine auf der Grundlage des Gewaltschutzgesetzes erlassene einstweilige Anordnung.

Aus der am 4. September 2002 geschlossenen Ehe der türkischen Antragstellerin und des deutschen Antragsgegners sind die Kinder B., geboren am 3. Dezember 2003, und E. Y., geboren am 20. Mai 2006, hervorgegangen. Die Antragstellerin hat aus erster Ehe zwei weitere Kinder, M. T., geboren am 20. Mai 1992, und Me. T., geboren am 26. Oktober 1994. Die Beteiligten trennten sich im Herbst 2008. Das Scheidungsverfahren ist sowohl beim Familiengericht Saarbrücken als auch bei einem türkischen Gericht anhängig.

In dem vorliegenden, am 23. Dezember 2009 eingeleiteten einstweiligen Anordnungsverfahren hat die Antragstellerin auf den Erlass vorläufiger Schutzmaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz angetragen. Der Antragsgegner hat um Zurückweisung des Antrags gebeten.

Durch den nach umfangreicher Beweisaufnahme aufgrund mündlicher Verhandlung erlassenen angefochtenen Beschluss vom 5. März 2010, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht dem Antragsgegner - ohne Befristung - untersagt, Kontakt zur Antragstellerin aufzunehmen, das von ihr bewohnte Haus zu betreten oder sich auf der Straße vor diesem Haus aufzuhalten, sich der Antragstellerin auf eine Entfernung von weniger als 50 Metern zu nähern; sollte es zu einem zufälligen Zusammentreffen kommen, wurde der Antragsgegner verpflichtet, unverzüglich diesen Abstand herzustellen und einzuhalten. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde dem Antragsgegner ein Ordnungsgeld von bis zu 3.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht. Die Geltung dieser Anordnungen wurde ausgeschlossen, soweit eine Kontaktaufnahme und räumliche Nähe zwischen den Beteiligten im Zusammenhang mit der Gewährleistung des Umgangs des Antragsgegners mit den beiden gemeinsamen Kindern der Beteiligten erforderlich ist.

Mit seiner Beschwerde begehrt der Antragsgegner die Aufhebung dieses Beschlusses.

Die Antragstellerin trägt unter dessen Verteidigung auf Zurückweisung der Beschwerde an.

Beide Beteiligten suchen um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nach.

Dem Senat haben die Akten Az1., Az2. und Az3. des Amtsgerichts Saarbrücken sowie die Akten Az4., Az5. und Az6. der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vorgelegen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft (§§ 58 Abs. 1, 38 Abs. 1 S. 1, 57 S. 2 Nr. 4 FamFG) und auch im Übrigen zulässig (§§ 63 Abs. 2 Nr. 1, 64 Abs. 1, 65, 59 Abs. 1 FamFG).

In der Sache hat die Beschwerde des Antragsgegners nur insoweit Erfolg, als sie zu einer Befristung der im angefochtenen Beschluss...

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