Rn 230

Eine Norm kommt nur als Schutzgesetz iSd § 823 II in Betracht, wenn sie nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit dient, sondern zumindest auch die Interessen des Einzelnen gezielt schützen soll; ein Individualschutz ausschließlich als Reflex des Schutzes von Allgemeininteressen, wie zB bei § 267 StGB, reicht nicht aus (s zB BGHZ 66, 388, 390; NJW 05, 2923, 2924; BGHZ 176, 281 Rz 51; VersR 10, 1234 Rz 26; MDR 15, 83 Rz 13; NJW 19, 3003 Rz 12; VersR 20, 1452 Rz 10, jew mwN). Das in diesem Zusammenhang vom BGH (insb BGHZ 40, 306, 307; 100, 13, 19; 106, 204, 206 f; 116, 7, 13) verwendete Argument, die Norm müsse eine Grundlage für die Befugnis des Vermögensträgers bieten, den Geltungsanspruch gegen den Verletzer mit Hilfe eines Schadensersatzanspruchs selbst durchzusetzen (im Gegensatz insb zur ausschließlichen Sanktionierung durch Behörden), wird allerdings zu Recht als Zirkelschluss kritisiert (Staud/J Hager § 823 Rz G 21; NK-BGB/Katzenmeier § 823 Rz 528; Erman/Wilhelmi § 823 Rz 157).

 

Rn 231

Die maßgeblichen Kriterien zur Ermittlung des individualschützenden Charakters einer Norm sind unklar und teilw str. Ausgangspunkt ist die Auslegung unter historisch-teleologischen (BGHZ 116, 7, 13; NZG 18, 625 Rz 16 ff, 21 ff) und systematischen Gesichtspunkten. Die Rspr prüft mitunter, ob innerhalb des Haftungsrechts als Ganzem die Zuerkennung eines Anspruchs sinnvoll erscheint, insb wenn es um den Ersatz reiner Vermögensschäden geht (zB BGHZ 66, 388, 389; 125, 366, 374; 176, 281 Rz 51). In der Lit werden va die nach § 823 I geschützten Rechtsgüter bzw die verschärften Haftungsvoraussetzungen bei § 826 als Vergleichsmaßstab herangezogen (zB Canaris FS Larenz II 27, 48; BeckOGK/Spindler § 823 Rz 267). Zudem wird der Schutznormcharakter einer Vorschrift mitunter abgelehnt, wenn der Geschädigte anderweitig abgesichert ist (BGHZ 84, 312, 317; 116, 7, 14; 125, 366, 374; vgl auch BGH NJW 19, 3003 Rz 13 mwN). Eine Ausnahme von diesen ›Regeln‹ macht die Rspr bei Strafnormen, die sie regelmäßig als Schutzgesetze einstuft (s insb BGHZ 116, 7, 14). In der Lit wird dies teilweise kritisiert (s insb Staud/J Hager § 823 Rz G 17 mwN).

 

Rn 232

Angesichts dieser Schwierigkeiten erscheint es sinnvoll, den Schutzgesetzcharakter nicht nach einer festen Regel, sondern anhand von Indizien, die eine Art ›Bewegliches System‹ bilden, zu bestimmen. In diesem Rahmen lassen sich die Grundlinien der Rspr berücksichtigen, zugleich aber flexibel und einzelfallbezogen handhaben. Wichtige Indizien können insb (aber nicht abschließend) sein: Individualschutz als Normzweck (insb bei Zuerkennung individueller Ansprüche an den Geschädigten), Vergleichbarkeit der Schutzvoraussetzungen (bei hypothetischer Annahme eines Anspruchs aus § 823 II) mit § 823 I bzw § 826, also keine zu niedrige Schutzschwelle, sowie Strafbewehrung (in schwächerem Maße auch Bußgeldbewehrung, Staud/J Hager § 823 Rz G 18).

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