aa) Sachlicher Schutzbereich.

 

Rn 189

Die Verletzung einer Verkehrspflicht des Produzenten manifestiert sich regelmäßig in einem Fehler des Produkts. Sieht man jedoch – wie hier – die Produkthaftung als Spezialfall der Haftung für Verkehrspflichtverletzung an, ist haftungsbegründend nicht der Produktfehler, sondern die Verletzung einer der oben genannten Pflichten. Dadurch reduziert sich auch der Streit um die Reichweite des Produktbegriffs: Es kommt darauf an, ob es sich um ein Erzeugnis des Produzenten handelt und ob er bei der Herstellung oder durch das Inverkehrbringen eine Verkehrspflicht verletzt hat. Der Begriff des Erzeugnisses ist in einem weiten Sinne zu verstehen und umfasst zB auch Wasser (BGHZ 59, 303, 309), andere Energiequellen, Abfall (BGH NJW 76, 46 f), Druckwerke, sofern sie Fehler enthalten, die eine Gefahr begründen, wie zB falsche Angaben in Handbüchern (BGH NJW 70, 1963 f; 73, 843, 845; dazu insb Foerste NJW 91, 1433; Meyer ZUM 97, 26, 29 ff; Spindler/Klöhn VersR 03, 410 f; Heldrich OdW 15, 155, 158 ff) – diese Haftung dürfte nach dem Urteil des EuGH zur Produkthaftung bei Presseerzeugnissen (EuGH NJW 21, 2015 = ECLI:EU:C:2021:471 Rz 24 ff, dazu § 2 ProdHaftG Rn 2) an praktischer Bedeutung gewinnen, andere Publikationen mit ähnlicher Wirkung, zB DVDs oder Online-Publikationen (zu YouTube-Videos Bielefeld MMR 21, 610, 611 ff), Computerprogramme (teilw str, s insb Meier/Wehlau CR 90, 95 ff; Spindler/Klöhn VersR 03, 410, 411 f; A-K Müller Software als ›Gegenstand‹ der Produkthaftung 19, 103 f), landwirtschaftliche Erzeugnisse auch vor der ersten Verarbeitung (Staud/J Hager § 823 Rz F 6; BeckOGK/Spindler § 823 Rz 628; aA Hamm DB 73, 325, 326) oder abgetrennte Körperteile (offengelassen für Blutkonserve in BGHZ 114, 284, 291 f) – trotz des Verbotes des Organhandels in § 17 I TPG, da es für die Deliktshaftung auf das Inverkehrbringen und die dadurch geschaffene Gefahr ankommt. Für unbewegliche Sachen, zB asbestverseuchte Häuser, sollte Entsprechendes gelten (für eine Einbeziehung in die Produkthaftung auch Staud/J Hager § 823 Rz F 6; BeckOGK/Spindler § 823 Rz 628; NK-BGB/Katzenmeier § 823 Rz 298).

bb) Persönlicher Schutzbereich.

 

Rn 190

Für den persönlichen Schutzbereich gelten die allgemeinen Grundsätze über Verkehrspflichtverletzungen (s.o. Rn 121), dh die Produzentenpflichten richten sich nach den in Frage kommenden Benutzern; Maßstab ist die am stärksten schutzbedürftige Gruppe.

cc) Haftpflichtiger.

 

Rn 191

Wer haftet, ist nach den Verkehrspflichten zu beurteilen, dh nach der Verantwortlichkeit für Konstruktion, Fabrikation, Instruktion und Produktbeobachtung.

 

Rn 192

Haftpflichtig ist zunächst der Hersteller selbst. Der Alleinhersteller haftet unabhängig davon, ob es sich um einen Kleinbetrieb oder ein Großunternehmen handelt (BGHZ 116, 104, 109 f). Bei arbeitsteiliger Produktion sind Endhersteller und Zulieferer für getrennte Bereiche verantwortlich: Der Zulieferer haftet für das gelieferte Produkt innerhalb von dessen bestimmungsgemäßer oder naheliegender Verwendung (BGH NJW 68, 247, 248; 96, 2224, 2225). Der Endhersteller ist verantwortlich für das Restprodukt sowie insb für Überprüfung (BGHZ 116, 104, 112 f; zumindest stichprobenartig, Oldbg NJW-RR 05, 1338), Eignung des Materials (BGH NJW 96, 2224, 2225), ordnungsgemäße Verarbeitung der zugelieferten Teile (BGH NJW 75, 1827, 1828), Auswahl (BGH VersR 72, 559, 560) und Geeignetheit des Lieferanten (zB BGHZ 67, 359, 361 f; 116, 104, 112 f; NJW 94, 3349, 3350) und ggf für Anweisungen zur Anfertigung von Einzelteilen (BGHZ 67, 359, 362; NJW 75, 1827, 1828; 94, 3349, 3350); bedenklich die Ausweitung der Haftung des Endherstellers auf Konstruktionsfehler des spezialisierten Zulieferers in Karlsr NJW-RR 95, 594, 597 [OLG Karlsruhe 02.04.1993 - 15 U 293/91]. Zu Einzelheiten insb BeckOGK/Spindler § 823 Rz 689 ff; MüKo/Wagner § 823 Rz 926 ff. Gesondert zu untersuchen sind die Haftungsadressaten innerhalb des Unternehmens. Neben der Haftung des Unternehmers selbst kommt auch eine solche von Organen oder leitenden Angestellten in Betracht. Ihre Bedeutung liegt im Vergleich zur allg Haftung für Verletzung von Organisationspflichten (s.o. Rn 128) insb in der mit den Beweiserleichterungen für den Geschädigten bei der Produkthaftung verbundenen Haftungsverschärfung und der Verjährung, die va bei fehlender Kenntnis (vgl § 199 I Nr 2) von Namen, Anschrift und Stellung dieser Personen häufig erst später zu laufen beginnt (BGH NJW 01, 964 f mwN). Der Rspr lassen sich für die Haftung von Organen oder Mitarbeitern kaum klare Regeln entnehmen (zB BGH NJW 75, 1827, 1828 f: persönliche Haftung eines Kommanditisten mit Beweislastumkehr, nach BGH NJW 87, 372, 374 aber nicht für die Verletzung von Instruktionspflichten; BGHZ 116, 104, 113 f: Beweislastumkehr für leitende Mitarbeiter nur wenn diese ausnahmsweise als ›Repräsentanten‹ des Unternehmens anzusehen sind; BGH NJW 01, 964 f, dazu insb Wagner VersR 01, 1057 ff; Foerste VersR 02, 1 ff; Medicus GmbHR 02, 809 ff, betrifft ausschließlich die Verjährung und enthält keine unmittelbaren Ausführungen ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge