a) Verkehrspflichten des Produzenten.

 

Rn 183

Für die Bestimmung der Pflichten des Produzenten gelten die allg Regeln über Konkretisierung und Umfang von Verkehrspflichten. Abzuwägen sind die Interessen des Produzenten (insb Möglichkeiten und Kosten der Gewährleistung eines bestimmten Niveaus von Produktsicherheit bzw der Reduzierung von Produktgefahren und die Zumutbarkeit solcher Maßnahmen, dazu insb BGHZ 104, 323, 329 f; zur Einhaltung öffentlich-rechtlicher Sicherheitsstandards s.o. Rn 116), die Interessen der Gefährdeten (insb Art der bedrohten Rechtsgüter, Grad ihrer Gefährdung, Möglichkeiten des Selbstschutzes, Vertrauen auf die Ungefährlichkeit des Produkts) und Allgemeininteressen (insb das Interesse an Fortschritt und Innovation, die immer mit gewissen Risiken verbunden sind). Die Produzentenpflichten hängen daher ua von der Gefährlichkeit des konkreten Produkts, von Möglichkeit und Zumutbarkeit von Sicherungsmaßnahmen auf Schädiger- und Geschädigtenseite sowie vom Nutzen des Produkts für die Allgemeinheit ab; auch Produktprüfungen können bei der Konkretisierung eine Rolle spielen (s nur Schucht CCZ 21, 220, 221). Die Pflichten des Produzenten gelten ggü dem Produktbenutzer (hier kommt uU eine Modifizierung der Deliktshaftung durch vertragliche Vereinbarungen zwischen ihm und dem Hersteller in Betracht, wenn sich diese auf Deliktsansprüche erstrecken), aber auch ggü unbeteiligten Dritten, die mit den Produktgefahren in Berührung kommen (sog bystander). In vielen Bereichen werden die allg Regeln über Verkehrspflichten durch von der Rspr speziell für die Produkthaftung entwickelte Grundsätze überlagert. Die Produzentenpflichten werden herkömmlich in vier Gruppen unterteilt, die den vier wesentlichen Verantwortungsbereichen des Herstellers entsprechen.

aa) Konstruktion.

 

Rn 184

Ein Produkt ist so zu konstruieren, dass es nicht schon seiner Konzeption nach unter dem gebotenen und zumutbaren Sicherheitsstandard (der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt des Inverkehrbringens zu bestimmen ist) bleibt (BGHZ 181, 253 Rz 15 ff mwN, dazu insb Klindt/Handorn NJW 10, 1105 ff). Öffentlich-rechtliche Sicherheitsstandards, zB DIN-Normen, ISO-Normen, VDI-Richtlinien, bilden aber nur die Untergrenze der zu beachtenden Sicherheitserfordernisse (s.o. Rn 116); die darin aufgestellten Sicherheitsanforderungen gelten inhaltlich auch für importierte Produkte (Celle VersR 07, 254). Wichtig dürfte aktuell insb die Einhaltung von IT-Sicherheitsstandards sein (dazu Böck/Theurer BB 21, 520, 522 f; Wittig Die produzentenrechtlichen Verkehrssicherungspflichten von Softwareproduzenten 21, 95 ff; Wiebe InTeR 21, 66, 68 f; Schaub in Ebers/Steinrötter, Künstliche Intelligenz und smarte Robotik im IT-Sicherheitsrecht 21, 339, 348 f mwN). Die Verkehrspflichten beziehen sich auf die Konstruktion selbst (BGH VersR 60, 855; 1095 f) einschl Überprüfung vor Beginn der Fertigung (BGH VersR 63, 860 f) sowie auf die Eignung der verwendeten Einzelteile und Materialien (BGHZ 67, 359, 362; 104, 323, 327; s.a. Hamm NJW 05, 295, 296: Beifügung suchtauslösender Zusatzstoffe zu Tabakprodukten ist kein Konstruktionsfehler; aA Merten VersR 05, 465, 468 ff) und die Organisation der Konstruktion nach allg Grundsätzen über Verkehrspflichten bei Arbeitsteilung (BGH VersR 71, 80 f; BGHZ 104, 323, 327 mwN). Zu Möglichkeiten und Grenzen einer Pflicht zur datenschutzkonformen Konstruktion Specht-Riemenschneider MMR 20, 73, 75 ff, zu Konstruktionspflichten bei autonomen Systemen insb Spindler in Beck/Kusche/Valerius, Digitalisierung, Automatisierung, KI und Recht 20, 255, 262 ff; Wittig Die produzentenrechtlichen Verkehrssicherungspflichten von Softwareproduzenten 21, 161 ff; Haagen Verantwortlichkeit für Künstliche Intelligenz 21, 236 ff; Lesser Haftungsprobleme und Versicherungslösungen bei Cyber-Risiken 21, 130 f; zu autonomen Fahrzeugen Hartmann PHI 21, 136, 140 ff; Xylander Die Verantwortlichkeit des Herstellers automatisierter Pkw nach Deliktsrecht sowie nach dem Produkthaftungsgesetz 21, 82 ff; Rosenberger Die außervertragliche Haftung für automatisierte Fahrzeuge 22, 408 ff. In Bezug auf die außervertragliche Haftung für Künstliche Intelligenz liegt jetzt ein Vorschlag der Europäischen Kommission zur Einführung von Beweiserleichterungen vor (COM [22] 496 final, s.u. Rn 201). Die Konstruktionspflichten unterliegen jedoch zwei wesentlichen Einschränkungen: Der Hersteller haftet nach hM nicht für Entwicklungsfehler (iSv nach dem Stand der Technik nicht erkennbaren Fehlern, BGHZ 181, 253 Rz 22, 27 mwN; BeckOGK/Spindler § 823 Rz 639; zum Stand der Technik München NJW-RR 08, 334) – deswegen ist seine Pflicht zur Produktbeobachtung (Rn 187 f) von besonderer Bedeutung (Erman/Wilhelmi § 823 Rz 116; BeckOGK/Spindler § 823 Rz 639 mwN). Weiterhin beschränken sich bei der Verwendung von Materialien und Einzelteilen anderer Hersteller die Pflichten des Endproduzenten nach den Grundsätzen der arbeitsteiligen Produktion (dazu insb BeckOGK/Spindler § 823 Rz 687 ff; MüKo/Wagner § 823 Rz 926 ff) auf allg Organi...

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