Rn 3

Testierfähig ist nur, wer selbstbestimmt handeln und eigenverantwortliche Entscheidungen treffen kann. Unter welchen Voraussetzungen diese Fähigkeit fehlt, hat der Gesetzgeber in IV aufgrund von Art 14 I 2 GG konkretisiert (vgl BVerfG NJW 99, 1853 [BVerfG 19.01.1999 - 1 BvR 2161/94]). Nach IV entscheidet sich, ob die Testierfähigkeit jeweils vorliegt oder uneingeschränkt fehlt. Dies gilt auch, soweit sich Geistesstörungen nur in einzelnen Lebensbereichen auswirkten (BayObLGZ 91, 59). Es gibt weder eine je nach Schwierigkeit des Testaments abgestufte (relative) Testierfähigkeit (BGHZ 30, 117; München FGPrax 07, 274; krit nun Baumann ZEV 20, 193) noch eine solche, die sich (wie bei der Geschäftsfähigkeit) auf einen bestimmten Bereich von Angelegenheiten bezieht.

 

Rn 4

Die Frage, ob jeweils die Voraussetzungen der Testierfähigkeit gegeben sind, ist im Wesentlichen tatsächlicher Natur. Um testierfähig zu sein, muss der Erblasser Inhalt und Tragweite seiner letztwilligen Verfügungen verstehen können. Insb muss er in der Lage sein, sich ein Urt zu bilden über die Auswirkungen seiner Verfügungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen sowie über die Gründe, die für und gegen ihre sittliche Berechtigung sprechen, und entspr selbstständig, also unabhängig von den Einflüssen Dritter zu handeln (allgM; vgl BGHZ 30, 294; Frankf NJW-RR 98, 870; Soergel/Klingseis Rz 10). Auf maßgebliche Beeinflussung durch Dritte kann eine für den Testator untypische sprachliche Fassung der Verfügungen hindeuten (AG Bamberg ErbR 22, 1145). Dass der Testator kraft eigenen Entschlusses Anregungen eines Dritten aufnimmt oder dessen Forderungen und Erwartungen berücksichtigt, ist dagegen unbedenklich (BayObLG FamRZ 90, 318).

1. Testierunfähigkeit.

 

Rn 5

Testierunfähig ist derjenige, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allg Verkehrsverständnis entspr Würdigung der Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhafte Vorstellungen oder Empfindungen derart beeinflusst werden, dass sie nicht mehr frei sind, sondern von diesen Einwirkungen beherrscht werden (BayObLG FamRZ 04, 1822 f; München ErbR 21, 870; Frankf ErbR 18, 516; vgl Kloster-Harz ZAP 05, 843).

 

Rn 6

Eine geistige Erkrankung des Erblassers steht der Gültigkeit seines Testaments aber nicht entgegen, wenn dieses von der Erkrankung nicht beeinflusst ist (BayObLG NJW-RR 02, 1088; FamRZ 02, 1066; Grziwotz MDR 16, 739). Eine nur einzelne Lebensbereiche betreffende geistige Störung muss gerade den Bereich der für die Testamentserrichtung maßgebenden geistigen Fähigkeit berühren (BayObLGZ 91, 59). Dabei kann ein nur bezüglich bestimmter Personen bestehender paranoider Verfolgungswahn auch dann testierunfähig machen, wenn der Erblasser iÜ imstande ist, Inhalt und Auswirkungen seines Testaments zu erfassen (BayObLG FamRZ 00, 701). Die Testierfähigkeit ist grds nicht ausgeschlossen bei Psychopathie oder Rauschgiftsucht (BayObLGZ 91, 64 f; FamRZ 96, 1109), querulatorischer Veranlagung oder abnormem Persönlichkeitsbild (BayObLG FamRZ 92, 724). Chronischer Missbrauch von Alkohol oder Medikamenten bewirkt Testierunfähigkeit erst, wenn der dadurch bedingte Persönlichkeitsabbau den Grad einer Geisteskrankheit erreicht hat (Köln 22.2.16 – 2 Wx 12/16; zum Nachweis vgl Brandbg ErbR 14, 393). Bei Altersdemenz (Hambg NJOZ 20, 1224; Schmoeckel NJW 16, 433) oder Cerebralsklerose kommt es auf das Gesamtverhalten und das Gesamtbild der Persönlichkeit zz der Testamentserrichtung an (BayObLG FamRZ 96, 566; 97, 1511; Ddorf FamRZ 98, 1064), bei Behandlung mit Schmerzmitteln auf die bewusstseinstrübende Wirkung (Brandbg RNotZ 14, 321).

2. Lichte Intervalle.

 

Rn 7

In lichten Intervallen errichtete Verfügungen sind wirksam. Auch Bewusstseinsstörungen führen nicht ohne weiteres zur Testierunfähigkeit, wenn noch Einsichtsfähigkeit nach IV vorliegt. Bei schwerer Demenz können lichte Intervalle praktisch ausgeschlossen sein (vgl München ZEV 13, 504 [OLG München 01.07.2013 - 31 Wx 266/12]).

3. Behinderte.

 

Rn 8

Bei geistiger Behinderung kann IV eingreifen. Körperlich Behinderten sind je nach Art der Behinderung einzelne Testamentsformen vorenthalten. Solche Einschränkungen enthalten §§ 2247 IV, 2233 II für Erblasser, die Geschriebenes nicht lesen können.

4. Betreuung.

 

Rn 9

Allein aus der Betreuungsbedürftigkeit des Erblassers (§ 1896 I 1) zz der Testamentserrichtung kann nicht auf Testierunfähigkeit geschlossen werden (Brandbg ErbR 22, 400 [OLG Brandenburg 10.01.2022 - 3 W 101/21]). Auch für den Betreuten wird vielmehr Testierfähigkeit vermutet, wie dies schon für die mit Einwilligung des Erblassers erfolgte Anordnung einer Gebrechlichkeitspflegschaft (§ 1910 aF) galt. Anzuwenden ist daher die allgemeine Regel des IV. Zum Nachweis kann aber ggf auf ein im Betreuungsverfahren eingeholtes Gutachten zurückgegriffen werden (Hahn FamRZ 91, 27). Ein vor dem 31.12.91 Entmündigter, der später routinegemäß unter Betreuung gestellt wurde, die nach Begutachtung auf Vermögenssorge beschränkt wurde, kann testierfähig sein (Hamm FamRZ 04, 659). Das Testa...

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