Gesetzestext

 

(1) Durch Vorlagebeschluss ist eine Entscheidung des im Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts über die Feststellungsziele gleichgerichteter Musterverfahrensanträge herbeizuführen, wenn innerhalb von sechs Monaten nach der ersten Bekanntmachung eines Musterverfahrensantrags mindestens neun weitere gleichgerichtete Musterverfahrensanträge bekannt gemacht wurden. Der Vorlagebeschluss ist unanfechtbar und für das Oberlandesgericht bindend.

(2) Zuständig für den Vorlagebeschluss ist das Prozessgericht, bei dem der erste bekannt gemachte Musterverfahrensantrag gestellt wurde.

(3) Der Vorlagebeschluss enthält:

1. die Feststellungsziele und
2. eine knappe Darstellung des den Musterverfahrensanträgen zugrunde liegenden gleichen Lebenssachverhalts.

(4) Das Prozessgericht macht den Inhalt des Vorlagebeschlusses im Klageregister öffentlich bekannt.

(5) Sind seit Bekanntmachung des jeweiligen Musterverfahrensantrags innerhalb von sechs Monaten nicht neun weitere gleichgerichtete Anträge bekannt gemacht worden, weist das Prozessgericht den Antrag durch Beschluss zurück und setzt das Verfahren fort. Der Beschluss ist unanfechtbar.

(6) Sind in einem Land mehrere Oberlandesgerichte errichtet, so kann die Zuständigkeit für das Musterverfahren von der Landesregierung durch Rechtsverordnung einem der Oberlandesgerichte oder dem Obersten Landesgericht zugewiesen werden. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. Durch Staatsverträge zwischen Ländern kann die Zuständigkeit eines Oberlandesgerichts für einzelne Bezirke oder für das gesamte Gebiet mehrerer Länder begründet werden.

A. Zweck.

 

Rn 1

Der Vorlagebeschluss des Prozessgerichts ist Voraussetzung für die Durchführung des Musterverfahrens und bestimmt zugleich dessen Gegenstand, insb durch die in Abs 1 S 2 geregelte Bindung des OLG an den Vorlagebeschluss. Damit ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss das vom OLG abzuarbeitende Programm des Musterverfahrens, welches allerdings gem § 15 KapMuG nachträglich noch erweitert werden kann.

B. Vorlagebeschluss.

I. Zuständiges Prozessgericht.

 

Rn 2

Die Abfassung des Vorlagebeschlusses ist gem Abs 2 Sache desjenigen Gerichts, bei dem der erste bekannt gemachte Musterverfahrensantrag eingegangen ist, dh anders als im früheren Recht kommt es nun nicht mehr auf den Zeitpunkt der Bekanntmachung, sondern auf den Zeitpunkt des Antragseingangs bei Gericht an. Dieser Zeitpunkt ist – anders als bisher der Tag der Bekanntmachung – von den Gerichten nicht zu beeinflussen und daher besser mit der Garantie des gesetzlichen Richters gem Art. 101 I 2 GG vereinbar (BTDrs 17/8799, 19f). Bei gleichzeitigem Eingang mehrerer Musterverfahrensanträge mag man ein Wahlrecht der Antragsteller analog § 35 ZPO annehmen (Söhner ZIP 13, 7, 9), sofern die Antragsteller sich einig sind.

II. Voraussetzungen.

1. Quorum.

 

Rn 3

Der Vorlagebeschluss ist herbeizuführen, wenn das in Abs 1 S 1 genannte Quorum von mindestens zehn bekannt gemachten gleichgerichteten Musterverfahrensanträgen innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten erreicht ist. Bei streitgenössischen Klagen reicht es aus, wenn zehn Streitgenossen gemeinsam einen solchen Antrag stellen (BGHZ 176, 170).

2. Gleichgerichtete Musterverfahrensanträge.

 

Rn 4

Zum Begriff der Gleichgerichtetheit s § 4 KapMuG Rn 2. Die Gleichgerichtetheit der Musterverfahrensanträge sollte anhand des nunmehr in der Bekanntmachung gem § 3 II Nr 6 KapMuG enthaltenen Darstellung des Lebenssachverhalts zu beurteilen sein. Sollten sich hier Zweifel ergeben, können zusätzlich die Akten der Ausgangsverfahren gem §§ 156 ff GVG herangezogen werden, soweit sich diese nicht ohnehin bereits bei dem über den Vorlagebeschluss entscheidenden Spruchkörper befinden.

III. Inhalt des Vorlagebeschlusses (Abs 3).

 

Rn 5

Der Vorlageschluss besteht gem Abs 3 aus zwei Teilen, nämlich den zusammengefassten Feststellungszielen (Nr 1) und einer Darstellung des einheitlichen Lebenssachverhalts (Nr 2). Bei der Formulierung der Feststellungsziele ist das Prozessgericht nicht an den genauen Wortlaut der gestellten Musterverfahrensanträge gebunden; vielmehr darf und sollte das Gericht im Interesse der Übersichtlichkeit und Ordnung des Verfahrensstoffes hier ein gewisses ordnendes Ermessen ausüben (LG Braunschweig WM 16, 2019, 2020). Soweit Rechtsfragen betroffen sind, gibt es schon nach allgemeinen Grundsätzen keine Dispositionsbefugnis der Parteien, so dass es dem Gericht erlaubt ist, Rechtsfragen im Vorlagebeschluss zu präzisieren oder klarer zu formulieren (aA Kilian 39: Bindung des Gerichts an Parteianträge auch bzgl Rechtsfragen). Geht es um Tatsachenfeststellungen, so verbietet der Beibringungsgrundsatz dem Gericht, von sich aus neue Tatsachen in den Vorlagebeschluss einfließen zu lassen; erlaubt ist aber die Zusammenfassung und Ordnung der in den ggf verschiedenen Musterverfahrensanträgen begehrten Tatsachenfeststellungen.

 

Rn 6

Die Darstellung des Lebenssachverhalts dient der Begründung und Beurteilung der Gleichgerichtetheit der Musterverfahrensanträge; eine Anlehnung an den Tatbestand eines Urteils ist nicht mehr erforderlich (BTDrs 17/8799, 20). Auch die von den Antragstell...

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