Entscheidungsstichwort (Thema)

Sofortrente

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei vorformulierten Widerrufsbelehrungen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen. Diese benachteiligen den Verbraucher unangemessen, wenn sie bei ihm einen falschen Eindruck über die tatsächliche Rechtslage hervorrufen und ihn so davon abhalten können, seine Rechte wahrzunehmen oder wenn sie dem Verwender die Gelegenheit eröffnen, begründete Ansprüche unter Hinweis auf eine in der Sache unzutreffende Darstellung der Rechtslage in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen abzuwehren.

2. Die Widerrufsbelehrung darf nicht nur, sondern muss zur Darstellung eines vollständigen Bildes über die Rechtsfolgen auch den Fall erfassen, dass das Widerrufsrecht nach einem längeren Zeitraum berechtigt ausgeübt wird. Ob eine zulässigerweise in eine Widerrufsbelehrung aufgenommene Sachverhaltsalternative auch im konkreten Einzelfall gegeben ist, darf dem Verbraucher - in den Grenzen der Verständlichkeit - zur Beurteilung überlassen werden.

3. Nach einem Widerruf eines Versicherungsvertrages, der einer 84jährigen Frau eine Sofortrente gegen Einmalzahlung von 50.000,00 Euro verspricht, kann der Versicherer nicht für jeden Tag des Bestehens des Vertrages einen Betrag von 138,89 Euro einbehalten.

 

Normenkette

BGB § 307; VVG § 8 Abs. 1-2, 5, §§ 9, 152, 169

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 24.10.2019; Aktenzeichen 11 O 245/18)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.10.2019 - 11 O 245/18 - wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt,

es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an den Vorstandsmitgliedern, zu unterlassen,

beim Abschluss von Versicherungsverträgen mit Tarifen, die eine Rente gegen Einmalzahlung versichern - wie in dem diesem Urteil als Anlage K1 beigefügten Vertragsformular zu einer Versicherung mit der Produktbezeichnung "X-PrivatSofortRente Klassik" geschehen - in der Widerrufsbelehrung zu diesen Verträgen in den Hinweisen zu den Widerrufsfolgen hinsichtlich des Teils der Prämie, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt und den sie im Fall des Widerrufs behalten darf, einen Betrag in Euro auf Basis folgender Formel zu berechnen

"Tagessatz lebenslange SofortRente = Einmalbetrag / ((Lebensalter - Eintrittsalter der versicherten Person) × 360))

und

bei der Anwendung der oben genannten Formel für die Berechnung eines Betrages in Euro eine geschlechtsunabhängige Lebenserwartung - in der Formel "Lebensalter" genannt - von 85 Jahren zu Grunde zu legen und bei allen Eintrittsaltern ab 85 mit einer Lebenserwartung = 84 zu rechnen, wie geschehen im vorliegenden Fall des Vertragsschlusses mit der Frau C., Anlage K 1, sofern dies nicht gegenüber einem Unternehmen im Sinne des § 14 BGB geschieht.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug. Von den Kosten des Verfahrens im zweiten Rechtszug tragen der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3.

IV. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung aus Ziffer I.1 der Entscheidungsformel durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 2.500,00 Euro abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann der jeweilige Vollstreckungsschuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird im Umfang der Verurteilung der Beklagten zugelassen.

Streitwerte:

Verfahren erster Instanz: 5.000,00 Euro

Verfahren zweiter Instanz: 7.500,00 Euro

 

Gründe

A Der Kläger, ein Verbraucherschutzverband, verlangt im Wege der Verbandsklage von der Beklagten die Unterlassung einer Belehrung über Widerrufsfolgen.

Wegen des Sachverhalts wird auf die tatbestandlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil verwiesen. Zusammenfassend und ergänzend:

Die Beklagte bietet mit dem Tarif "X-PrivatSofortRente Klassik" Versicherungsverträge an, die gegen Zahlung einer Einmalprämie Rentenansprüche ab dem Erreichen einer bestimmten Altersgrenze begründen. Im November 2016 schloss die damals 84jährige S. C. mit der Beklagten einen solchen Rentenversicherungsvertrag gegen Zahlung einer Einmalprämie von 50.000,00 Euro ab. Als Versicherungsbeginn war der 01.11.2016 vereinbart. Ab dem 01.11.2017 sollten neben einer Überschussbeteiligung jährliche Zahlungen in Höhe von 4.166,71 Euro garantiert sein. Ab Beginn der Rentenzahlung war eine Todesfallleistung bis zum 31.10.2026 vorgesehen in Höhe der 10-fachen jährlichen, ab Rentenbeginn garantierten Rente abzügli...

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