Leitsatz (amtlich)

Das urheberrechtliche Änderungsverbot steht dem Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 nicht entgegen, denn im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung sind im konkreten Fall die Eigentümerinteressen schwerwiegender als die Urheberinteressen. In die Abwägungsentscheidung ist nur die konkrete Planung einzustellen. Die von der Beklagten geltend gemachten städtebaulichen Belange sind für die Interessenabwägung nicht relevant.

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 20.05.2010; Aktenzeichen 17 O 42/10)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 20.5.2010 (17 O 42/10) wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 1.000.000 EUR

 

Gründe

A. atbestand

Der Kläger will erreichen, dass es die Beklagten unterlassen, im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 die Seitenflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs und die Treppenanlage in der Großen Schalterhalle abzureißen. Hinsichtlich des im August/September 2010 abgerissenen Nordflügels begehrt er den Wiederaufbau.

I. Sachverhalt und Vortrag in erster Instanz

Der Kläger ist ein Erbe des Architekten Paul Bonatz (geboren am 06.12.1877, gestorben am 20.12.1956), der den Stuttgarter Hauptbahnhof geplant und dessen Bauausführung geleitet hat.

Den Architektenwettbewerb für das Empfangsgebäude des damals neuen Hauptbahnhofs an der Schillerstraße gewann das Architekturbüro Bonatz und Scholer am 20.6.1911 mit dem Entwurf "umbilicus sueviae" (= der Nabel Schwabens), der Architektenvertrag wurde am 14./30.5.1913 abgeschlossen (B 3). Paul Bonatz war schwerpunktmäßig für den Entwurf, der 1949 verstorbene Friedrich Eugen Scholer für Ausarbeitungen und technische Fragen zuständig. Der Bahnhof wurde in den Jahren 1914 bis 1928 errichtet, bedingt durch den ersten Weltkrieg kam es zu Bauverzögerungen. Nach erheblichen Zerstörungen im zweiten Weltkrieg erfolgte der Wiederaufbau ebenfalls unter Mitwirkung von Paul Bonatz.

Ein mit der Klage vorgelegtes Luftbild (Blatt 17 der Akten) zeigt den Bahnhof mit den Flügeln: (Abbildung entfernt)

Nach dem Tod von Paul Bonatz wurden weitere Umbauarbeiten vorgenommen. Die Treppe in der großen Schalterhalle wurde ersetzt, es wurden Rolltreppen angebracht und ein Durchbruch auf der Ebene der Schalterhalle zur Anbindung der unterirdischen Arnulf-Klett-Passage vorgenommen (B 34, Blatt 168 der Akten):

(Abbildung entfernt: Große Schalterhalle Originalzustand 1922)

(Abbildung entfernt: Große Schalterhalle Bestandssituation. Nach Umbau 1974)

Am 28.2.1997 hat die Beklagte Ziff. 1 unter Beteiligung der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg einen Architektenwettbewerb zum Umbau des Hauptbahnhofs ausgeschrieben, wobei u.a. der Erhalt der Treppenkonstruktionen gefordert wurde und zur Frage eines Abrisses der Seitenflügel wie folgt ausgeführt wird (K 5, in der Auslobung auf S. 39 - 40):

"... Dem Bahnhofsgebäude werden bei allen Entwürfen des kooperativen Gutachterverfahrens entsprechend den Vorgaben einer modernen Verkehrsstation neue Nutzungen zugeführt. Die Funktionalität des Stuttgarter Hauptbahnhofs war eine wesentliche Vorgabe für den Architekten Paul Bonatz. Sie wird getragen von der großen und kleinen Schalterhalle, dem Mittelgang, dem ebenerdigen Nordausgang und der großen Kopfbahnsteighalle. Diese Raumkonstruktionen mit ihren Treppenverbindungen sind zwingend zu erhalten.

Wie das Ergebnis des kooperativen Gutachtens zeigt, erscheint eine sinnvolle städtebauliche Weiterentwicklung der Kernstadt nur bei einem Abbruch der Seitenflügel möglich. Sollten diese städtebaulichen Vorgaben von den Planverfassern mitgetragen werden, so müssen die öffentlichen Interessen der Erhaltung des Kulturdenkmals Hauptbahnhof Stuttgart zu den öffentlichen Interessen einer funktionierenden Stadterweiterung mit einer angeschlossenen modernen Verkehrssituation gegeneinander abgewogen werden.

Denkmalpflegerisch ist der Erhalt der Flügelbauten zu fordern. Bei einer überzeugenden Darstellung und Darlegung der übergeordneten Gründe einer funktionierenden Stadterweiterung mit einer modernen Verkehrssituation wird es den Planverfassern freigestellt, die Flügelbauten abzubrechen ...

Es ist anzustreben, die wesentlichen Teile des denkmalgeschützten Hauptbahnhofs und die sich aus den Anforderungen der Gegenwart ergebenen Architekturelemente zu einer neuen, baulich gestalterischen Einheit zu verbinden ..."

Der Kläger leitet daraus her, dass die Erhaltung der Seitenflügel gefordert worden sei.

Das Urheberrecht von Paul Bonatz wurde im Wettbewerb und im anschließenden Planfeststellungsverfahren nicht thematisiert. Der Kläger schließt daraus und aus den weiteren Abläufen im Wettbewerb und im Genehmigungsverfahren, dass es den Beklagten (und der Stadt Stuttgart) nur um eine städtebauliche Weiterentwicklung gehe ...

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