Verfahrensgang

LG Heilbronn (Urteil vom 27.06.2019; Aktenzeichen Bm 6 O 408/17)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 27.06.2019, Az. Bm 6 O 408/17, teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 153.705,54 EUR nebst Jahreszinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.01.2018 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Heilbronn ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 156.149,90 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Zahlungsansprüche bezüglich der Umsatzsteuer für erbrachte Bauleistungen im Wege der Vertragsanpassung nach der Änderung der Praxis der Finanzverwaltung aufgrund der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geltend.

Die Beklagte, eine Bauträgerin, hatte mit der K. GmbH, über deren Vermögen Ende Oktober 2016 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (daher i.F. auch: Schuldnerin), in den Jahren 2011 und 2012 Werkverträge über die Erbringung von Bauleistungen bei verschiedenen Bauvorhaben der Beklagten in O. ("O. 18", "O. 20", "O. 21", "O. 25") abgeschlossen. In den Verträgen war die Vergütung unter Hinweis auf § 13b UStG als Nettobetrag vereinbart (vgl. z.B. Anlage K 2). Die Schuldnerin stellte der Beklagten mit Abschlags- und Schlussrechnungen Nettobeträge in Rechnung, verbunden mit dem Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b UStG. Die Beklagte zahlte an die Schuldnerin jeweils eine Nettovergütung.

Die Beklagte bzw. ihre Organträgerin führte Umsatzsteuer (USt) an das Finanzamt ab. Am 17. Februar 2014 beantragte die Organträgerin der Beklagten beim Finanzamt O. unter Verweis auf das Urteil des BFH vom 22. August 2013 (Az. V R 37/10) die Rückerstattung der gemäß § 13b UStG abgeführten Beträge. Davon setzte das Finanzamt den Kläger mit Schreiben vom 2. März 2017 in Kenntnis.

Der Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin und begehrt mit der vorliegenden Klage die USt auf die Nettovergütungsbeträge. Er beantragte, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 156.149,90 EUR zzgl. 9 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 17. Februar 2014 zu zahlen.

Bezüglich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der Antragstellung in erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Heilbronn vom 27. Juni 2019, Az. Bm 6 O 408/17, verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage bis auf einen kleinen Teil der Zinsforderung stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 156.149,90 EUR nebst 9 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 6. Januar 2018 zu zahlen.

Die von der Schuldnerin und der Beklagten getroffene Vereinbarung in den Werkverträgen weise eine Regelungslücke auf, weil sie keine Regelung des Falls enthalte, dass die Praxis von Rechtsprechung bzw. Finanzverwaltung zur Anwendung von § 13b Abs. 2 S. 2 UStG a.F. sich ändere und nicht die Beklagte, sondern die Schuldnerin als USt-Schuldnerin angesehen werde. Nach dem Regelungsplan der Werkverträge sollte die anfallende USt im wirtschaftlichen Ergebnis von der Beklagten getragen werden. Mit der Entscheidung des BFH vom 22. August 2013 (Az. V R 37/10) und der daraus resultierenden Möglichkeit der Beklagten, die Erstattung der von ihr gezahlten USt zu verlangen, und der durch § 27 Nr. 19 UStG geschaffenen Möglichkeit, in diesem Fall die gegen den Leistungserbringer wirkende Steuerfestsetzung nachträglich zu ändern, sei der ursprüngliche Regelungsplan nicht mehr zu verwirklichen gewesen. Diese Lücke sei durch ergänzende Vertragsauslegung dahin zu schließen, dass der Schuldnerin ein vertraglicher Anspruch auf Zahlung des Bruttowerklohns zustehe. Auf den Umstand, ob die Beklagte vom Finanzamt bereits die USt erstattet erhalten habe, komme es nicht an.

Die Beklagte könne sich nicht auf den Schlussrechnungseinwand des § 16 VOB/B berufen. Die ergänzende Vertragsauslegung stelle eine der VOB/B als AGB vorgehende Individualabrede dar.

Nicht mit Erfolg könne die Beklagte einwenden, die Regelung in § 27 Nr. 19 UStG sei als unzulässige echte Rückwirkung verfassungs- und europarechtswidrig.

Die Einrede der Verjährung greife nicht durch. Zu den anspruchsbegründenden Umständen gehöre das Auftreten des unplanmäßigen vertraglichen Ungleichgewichts, welches vorliegend erst bestanden habe, als die Beklagte bzw. deren Organträgerin im Februar 2014 vom Finanzamt die Erstattung der geleisteten USt beantragt ha...

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