Leitsatz (amtlich)

Die Zulässigkeit von Auslieferungshaft nach Eingang eines Auslieferungsersuchens der Griechischen Republik setzt voraus, dass binnen angemessener Frist eine individuelle Zusicherung des ersuchenden Staates dahingehend vorliegt, dass die verfolgte Person für den Fall ihrer Inhaftierung in Griechenland durchgängig in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht wird, deren Standards den Anforderungen der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 bzw. den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entsprechen und dort jederzeit von deutschen Konsularbeamten besucht werden darf. Abstrakt-generelle amtliche Erklärungen zu allgemeingültigen griechischen Strafvollzugsprinzipien genügen nicht. Anknüpfend an die Senatsentscheidung vom 21. April 2016 und diese fortführend.

 

Normenkette

IRG § 73 S. 2; Vertrag über die Europäische Union Art. 6; EMRK Art. 3

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 14.07.2016; Aktenzeichen StB 23/16)

 

Tenor

  1. Es wird festgestellt, dass die beantragte Auslieferung des Verfolgten an die Griechische Republik zu dortiger Strafverfolgung (derzeit)

    unzulässig

    ist.

  2. Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 15. Dezember 2015 wird

    aufgehoben.

 

Gründe

I.

Durch Ausschreibung im Schengener Informationssystem und Übersendung eines Europäischen Haftbefehls, ausgestellt durch die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Athen am 3. Juli 2015 (Az.: FE 7399) haben die Justizbehörden der Griechischen Republik um (Festnahme und) Auslieferung des griechischen Staatsangehörigen B. zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht. Der Senat hat daraufhin - auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart - am 15. Dezember 2015 einen Auslieferungshaftbefehl erlassen, auf dessen Grundlage der Verfolgte am 29. Dezember 2015 in S. festgenommen und sodann inhaftiert wurde. Mit nachfolgendem Beschluss hat der Senat am 25. Februar 2016 die Aufrechterhaltung des Auslieferungshaftbefehls sowie Haftfortdauer angeordnet. Mit Beschluss vom 21. April 2016 wurde der bezeichnete Haftbefehl sodann außer Vollzug gesetzt und die Freilassung des Verfolgten verfügt.

II.

1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Griechische Republik zum Zwecke der Strafverfolgung ist (derzeit) unzulässig: Gemäß § 73 S. 2 IRG ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig, wenn die Erledigung des entsprechenden Ersuchens zu den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde. Davon ist vorliegend auszugehen, da nicht auszuschließen ist, dass der Verfolgte für den Fall seiner Auslieferung in Griechenland in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert werden könnte, die europäischen Mindeststandards nicht genügt bzw. in der er einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. Hierzu im Einzelnen:

- Am 11. Januar 2016 wurde dem Oberlandesgericht über das Justizministerium Baden-Württemberg ein Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. Dezember 2015 - III-AR 15/15 - zugeleitet, in dem Haftbedingungen in Griechenland und ihre Auswirkungen auf Auslieferungsverfahren mit Griechenland thematisiert werden. Die genannte Entscheidung enthält insbesondere Darlegungen zu den Erkenntnissen, die sich aus einem Bericht des Komitees des Europarates zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe (kurz: CPT) vom 16. Oktober 2014 (CPN/Inf[2014]26) ergeben. Basierend auf einer Inspektion verschiedener griechischer Justizvollzugsanstalten in der Zeit vom 4. bis 16. April 2013 kam das CPT hiernach zu dem Ergebnis, dass das griechische Justizvollzugssystem (weiterhin) fundamentale Mängel aufweist. Der Senat sah sich daher veranlasst, beim Auswärtigen Amt der Bundesregierung amtliche Auskünfte zu folgenden Fragestellungen einzuholen:

- Über welche aktuellen Erkenntnisse verfügt das Auswärtige Amt zu den Haftbedingungen im griechischen Strafvollzug - Untersuchungshaft eingeschlossen -?

- Sind beim Auswärtigen Amt aktuelle Erkenntnisse dazu vorhanden, dass die Haftbedingungen in griechischen Haftanstalten - im Allgemeinen oder in einzelnen Einrichtungen - nicht den Anforderungen der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 bzw. den Mindestgrundsätzen für die Behandlung der Gefangenen der Vereinten Nationen vom 13. Mai 1977 und/oder den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entsprechen?

- Die Generalstaatsanwaltschaft hat daraufhin am 12. Januar 2016 an die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Athen um die Übermittlung ergänzender Informationen zu der in Rede stehenden Thematik wie folgt gebeten:

"Der Generalstaatsanwaltschaft wurde inzwischen durch die Justizverwaltung eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf übermittelt, mit welcher eine Auslieferung nach Griechenland im Hinblick auf die Bedingungen in griechischen Haftanstalten für unzulässig erklärt wurde. (...) Im Hinblick darauf muss ich Sie um eine ausdrückliche Zusich...

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