Leitsatz (amtlich)

1. Treibt ein vor Anker liegendes Schiff ("Stilllieger" oder "Ankerlieger") ab und richtet es hierbei Schaden an, so besteht zugunsten des Geschädigten ein Anscheinsbeweis dahin, dass der Stilllieger nicht genügend gesichert war (im Anschluss an BGH, Urteil vom 24.06.1971 - II ZR 105/69, VersR 1971, 856).

2. Bei Kollision eines in Bewegung befindlichen Schiffes mit einem Stilllieger oder Ankerlieger spricht ein Anscheinsbeweis für ein ursächliches Verschulden der Besatzung des in Bewegung befindlichen ("anrennenden") Schiffes (im Anschluss an BGH, Urteil vom 21.03.1957 - II ZR 326/55, VersR 1957, 312; Urteil vom 01.02.1982 - II ZR 77/81, VersR 1982, 491).

3. Die vorgenannten Anscheinsbeweise gelten auch bei stürmischer Wetterlage. Insbesondere sind Wetterverhältnisse und Sturmwarnungen für eine sichere Befestigung des Schiffes zu berücksichtigen.

4. Die vorgenannten Anscheinsbeweise gelten nicht nur für Unfälle auf Binnengewässern, sondern auch für Unfälle auf dem offenen Meer, jedenfalls wenn sich das Abtreiben bzw. die Kollision in Küstennähe ereignet hat.

 

Normenkette

BGB § 823; HGB a.F. § 735; HGB n.F. § 570; SeeStrOV § 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 12.09.2014; Aktenzeichen 1 O 7436/12)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des LG Nürnberg-Fürth vom 12.09.2014 (Az. 1 O 7436/12) aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das LG Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird für die Zeit bis 28.09.2016 auf 44.449,42 EUR und für die Zeit danach auf 44.339,59 EUR festgesetzt

 

Gründe

A. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche nach einer Schiffskollision geltend.

Der Kläger ist Eigentümer der unter deutscher Flagge fahrenden Segelyacht (SY) "O.", Registerhafen Hamburg, Schiffstyp Ketsch (Zweimaster), Baujahr 1980, Länge 16,15 m, Breite 4,26 m, max. Verdrängung 17.000 kg. Der Beklagte ist Eigentümer der unter deutscher Flagge fahrenden Segelyacht (SY) "S.", Registerhafen Nürnberg, Schiffstyp Slup (Einmaster mit Großsegel und Vorsegel), Länge 12,84 m, Breite 4,19 m, max. Verdrängung: 9.550 kg.

Im Juli 2011 befanden sich sowohl der Kläger (mit seiner Ehefrau - der Zeugin G. F. - und seinem Sohn) als auch der Beklagte (mit seiner Ehefrau - der Zeugin C. H. - und seinem Hund) jeweils mit ihren Segelyachten auf Segeltörns auf der Adria vor der kroatischen Küste. Am 28.07.2011 ankerten die Parteien ihre Segelyachten in einem Abstand von ca. 300 - 350 m voneinander in der nach Nordwesten zum Meer geöffneten (vgl. Anlagen K1, K34, K35) Bucht Tiha, Gemeinde Cavtat (ca. 20 km südlich von Dubrovnik), Kroatien.

Im Zusammenhang mit einem Wetterwechsel (Winddrehung auf Nordwest, Wind mit Böen der Windstärke Beaufort 7-8, dies entspricht ca. 30-40 Knoten bzw. ca. 50-75 km/h) kam es am Morgen des 29.07.2011 zu einem Lösen des Ankers der SY S. und in der Folge zu einem Verdriften der SY S. weg von deren Ankerstelle in Richtung der SY O. sowie - ohne dass zuvor der Motor der SY S. gestartet wurde - anschließend zu einer Kollision mit dem Bugbereich der SY O.. Dabei verfing sich die Ankerkette der SY O. im Heckbereich - zwischen Ruderblatt und Propeller - der SY S., so dass deren Motor nicht mehr gestartet werden konnte und die beiden Schiffe nicht mehr voneinander loskamen. Um die Verkettung der Schiffe zu lösen, musste der Kläger seinen Anker kappen; die mit einem Fender gesicherte Ankerkette wurde von ihm später wieder aufgenommen.

Nach dem Vorfall unterzeichneten beide Parteien jeweils eine "Schadensschilderung" (Anlage B2).

Der Hergang des Vorfalls im Einzelnen sowie die Verantwortlichkeit hierfür sind zwischen den Parteien streitig. Der Kläger sieht diesbezügliche schuldhafte Versäumnisse des Beklagten insbesondere in einer Missachtung der Wetterlage und von Wetterwarnungen, in einer nicht ordnungsgemäßen Verankerung der SY S. sowie unzureichender Überwachung der Verankerung, weiter in nautischem Fehlverhalten nach Losreißen des Ankers, insbesondere im Unterlassen eines unverzüglichen Starts der Maschine oder des Werfens einen Notankers. Im Einzelnen ist streitig,

  • ob im Vorfeld - bereits am 28.07.2011 - Wetterwarnmeldungen (vgl. Anlage K36) hinsichtlich der Gefahr heraufziehender Stürme herausgegeben waren, die vom Beklagten miss- achtet wurden (Vortrag des Klägers, Anlagen K15, BK1) oder nicht (Vortrag des Beklagten),
  • ob bereits am Abend des 28.07.2011 regnerisches Wetter mit Gewittern herrschte und ein anstehender Wetterwechsel mit der Gefahr heraufziehender Stürme zu befürchten war, was vom Beklagten missachtet wurde (Vortrag des Klägers) oder nicht (Vortrag des Beklagten),
  • ob die SY S. des Beklagten ordnungsgemäß, insbesondere mit ausreichend langer Ankerkette, verankert war (Vortrag des Beklagten) oder nicht (Vortrag des Klägers),
  • ob die Durchführung einer sog. Ankerwache auf der SY S. geboten war (Vortrag d...

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