Leitsatz (amtlich)

›1. Es ist einem vollziehbar ausreisepflichtigen iranischen Staatsangehörigen, der nicht freiwillig in den Iran zurückkehren will, unzumutbar im Sinne des § 48 Abs. 2 AufenthG, sich einen Pass bei seiner Auslandsvertretung zu verschaffen, solange sein Herkunftsstaat eine Passerteilung generell davon abhängig macht, dass er seinen abgelaufenen iranischen Pass mit einem darin vermerkten deutschen Aufenthaltstitel vorlegt und ihm abverlangt, eine sog. Freiwilligkeitserklärung des Inhalts abzugeben, aus freien Stücken aus dem Bundesgebiet ausreisen zu wollen. Letzteres gilt nämlich auch für solche Antragsteller, die eine derartige Erklärung nur wahrheitswidrig abgeben könnten.

2. Die Frage der Zumutbarkeit einer Passbeschaffung im Sinne des § 48 Abs. 2 AufenthG stellt sich auch dann nicht, wenn der Herkunftsstaat - wie im Fall des Iran - nur Passersatzpapiere ausstellt. Es ist deshalb nicht nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 48 Abs. 2, § 3 Abs. 1 AufenthG strafbar, wenn sich ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer (dieser Herkunftsstaaten) im Bundesgebiet aufhält und sich keine Passersatzpapiere beschafft.

Es bestehen Bedenken, ob die in Bezug auf Passersatzpapiere gegenüber § 48 Abs. 2 AufenthG weitergehende Vorschrift des § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 Alt. AufenthV wirksam ist. Sie könnte höherrangiges Recht (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) nicht ergänzen, den Umfang des Strafgesetzes nicht erweitern; Gegenteiliges verstieße gegen das Analogieverbot.

3. Soweit eine eventuelle Strafbarkeit gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG i.V.m. § 49 Abs. 1 AufenthG wegen Verstoßes gegen Pflichten eines ausreisepflichtigen iranischen Staatsangehörigen bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten zu prüfen ist, steht das ausländische Erfordernis einer Freiwilligkeitserklärung (vgl. Ziffer 1) mit dem deutschen Recht im Sinne des § 49 Abs. 1 AufenthG nicht in Einklang.‹

 

Gründe

I.

Dem Angeklagten, der die iranische Staatsangehörigkeit besitzt und der am 27.12.1996 als Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, lag zur Last, sich seit dem 21.9.1998, dem Tag der bestandskräftigen Ablehnung seines Asylantrags, unerlaubt im Bundesgebiet ohne Pass aufgehalten zu haben. Es sei ihm zumutbar gewesen, sich einen Pass über die Auslandsvertretung der Islamischen Republik Iran zu beschaffen.

Das Amtsgericht A hat den Angeklagten mit Urteil vom 18.8.2004 vom Vorwurf des unerlaubten Aufenthaltes ohne Pass aus Rechtsgründen freigesprochen, allerdings in der rechtsfehlerhaften Annahme, dem Angeklagten seien qualifizierte Duldungen erteilt worden. Dem Urteil ist ein am 17.5.2004 erlassener Strafbefehl vorausgegangen, gegen den form- und fristgerecht Einspruch eingelegt worden war. Die erste Beschuldigtenvernehmung ist am 6.2.2004 erfolgt.

Das Landgericht A hat mit Urteil vom 3.7.2006 die Berufung der Staatsanwaltschaft als unbegründet verworfen.

Mit der Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts.

Die Staatsanwaltschaft rügt insbesondere, dass das Landgericht § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht richtig angewandt habe. Sie vertritt die Auffassung, der Angeklagte habe sich (zumindest) in der Zeit vom 27.3.2005 bis 27.6.2006 wegen "unerlaubten Aufenthalts ohne Pass, Passersatz und Ausweisersatz" strafbar gemacht, da er sich in dieser Zeit entgegen § 3 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 48 Abs. 2 AufenthG im Bundesgebiet aufgehalten habe. Die Ausländerbehörde sei insbesondere nicht verpflichtet gewesen, dem Angeklagten qualifizierte Duldungen zu erteilen, da ihm die Passbeschaffung zumutbar gewesen sei.

Der Angeklagte habe sich auch deshalb strafbar gemacht, weil er in zumutbarer Weise einen "anerkannten Passersatz namens Laissez Passer" hätte erlangen können. Zumindest liege eine Ordnungswidrigkeit nach dem Aufenthaltsgesetz vor.

Der - nach Ansicht der Staatsanwaltschaft - unerlaubte Aufenthalt des Angeklagten ohne Pass sei nicht durch einen Notstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Revisionsbegründung vom 28.8.2006 und die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft N vom 16.10.2006 Bezug genommen.

II.

Die Revision ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 SPO) aber unbegründet.

Eine Überprüfung des Berufungsurteils aufgrund der Sachrüge hat ergeben, dass zum Teil Verfolgungsverjährung eingetreten ist und im Übrigen ein tatbestandsmäßiges Handeln des Angeklagten gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 1, § 39 Abs. 1 AuslG - bis 31.12.2004 geltende Fassung - (§ 95 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1, § 48 Abs. 2 AufenthG für die Zeit ab 1.1.2005) nicht vorlag, weil der Angeklagte einen Anspruch auf Erteilung einer sog. qualifizierten Duldung hatte, da ihm eine Passbeschaffung unzumutbar war.

Die erhobene Sachrüge ist schon deshalb unbegründet. Auf eine etwaige Erfolgsaussicht der weiter erhobenen Sachrügen (Verletzung der §§ 261 und 267 StPO) kommt es nicht mehr an, da diese sich lediglich auf einen Teil des Sachverhalts des landgerichtlichen Urteils beziehen, der für die Entscheidung des...

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