Entscheidungsstichwort (Thema)

PKH: Wirtschaftlich Beteiligte i.S.d. § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den wirtschaftlich Beteiligten i.S.d. § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO, denen grundsätzlich die Finanzierung der Prozesskosten zuzumuten ist, gehören mit Ausnahme der Minimalgläubiger i.d.R. alle Insolvenzgläubiger, auch die Finanzbehörden.

2. Die Zumutbarkeit ist immer dann zu bejahen, wenn die Gesamtheit dieser Gläubiger bei einem Prozesserfolg, in absoluten Zahlen gemessen, deutlich mehr erhält als sie an Prozesskosten aufzubringen hat.

 

Verfahrensgang

LG Regensburg (Beschluss vom 05.11.2004; Aktenzeichen 1 O 2242/04)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des LG Regensburg vom 5.11.2004 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 127 Abs. 2 S. 2, § 567 Abs. 1 ZPO). Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet, da das Erstgericht die beantragte Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht versagt hat. Die Voraussetzungen des § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO liegen nicht vor.

1. Dabei kann dahinstehen, ob der Überlegung des Erstgerichts gefolgt werden kann, der Prozesskostenhilfeantrag müsse schon deswegen abgewiesen werden, weil Gläubiger öffentlicher Abgaben am Insolvenzverfahren beteiligt seien und diesen die Aufbringung der Prozesskosten stets zuzumuten sei. Denn der Antrag kann auch dann keinen Erfolg haben, wenn man diesen Gläubigern keine derartige Sonderstellung einräumt. Denn der Gesamtheit der am Prozess wirtschaftlich Beteiligten ist es jedenfalls zuzumuten, die erforderlichen Mittel für die Prozessführung aufzubringen. Alle wirtschaftlich Beteiligten bilden eine Risikogemeinschaft, die insgesamt herangezogen werden kann (KG AnwBl 2003, 244; Musielak/Fischer, ZPO, 4. Aufl., § 116 Rz. 9).

2. Das Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers kann allerdings nicht mit einem bloßen Hinweis auf § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO zurückgewiesen werden.

Denn diese Bestimmung gilt nur für die Dauer des bestimmungsgemäßen Betriebs der juristischen Person (BGH v. 27.9.1990 - IX ZR 250/89, MDR 1991, 334 = NJW 1991, 40 [41]; Musielak/Fischer, ZPO, 4. Aufl., § 116 Rz. 11; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 116 Rz. 17).

Nach dem Wortlaut des Gesetzes stehen beide in § 116 geregelten Fälle selbständig und gleichrangig nebeneinander. § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO soll dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich bei juristischen Personen um künstliche Schöpfungen aus Zweckmäßigkeitsgründen handelt. Die zusätzliche Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, die § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO aufstellt, kann daher nur für die Dauer des bestimmungsgemäßen Betriebes der juristischen Person gelten. Denn mit der Konkurseröffnung entfällt ohne weiteres die für die Einschränkung vorausgesetzte Privatnützigkeit der juristischen Person. Von diesem Zeitpunkt an ist ihr Vermögen wie das jeder natürlichen Person zur geordneten Befriedigung der Gläubiger zu verwenden (BGH v. 27.9.1990 - IX ZR 250/89, MDR 1991, 334 = NJW 1991, 40 [41]).

Vor allem verbietet es der Zweck des § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Insolvenzverwalter zusätzlich von einem allgemeinen Interesse an der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung abhängig zu machen. Denn gerade der Rechtsverfolgung durch Insolvenzverwalter hat der Gesetzgeber mit der Schaffung dieser Vorschrift ein eigenständiges, schutzwürdiges öffentliches Interesse beigemessen. Die sehr zurückhaltende Bewilligung von Armenrecht bzw. Prozesskostenhilfe durch die Gerichte hatte dazu geführt, dass Geschäftspartner des Gemeinschuldners sich häufig rechtswidrige Vorteile in der Erwartung verschaffen, dem Insolvenzverwalter werde es nicht gelingen, die erforderlichen finanziellen Mittel zur Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes aufzubringen. Dieser Missstand sollte durch die Einführung des § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO beseitigt werden. Darüber hinaus ist das Insolvenzverfahren im öffentlichen Interesse mit der Aufgabe betraut, die geordnete und rechtlich gesicherte Abwicklung eines - wenn auch massearmen oder masselosen - Unternehmens vor allem zum Schutz sozial Schwächerer herbeizuführen. Einer weiteren allgemeinen Rechtfertigung bedarf die Rechtsverfolgung oder -verteidigung durch den Insolvenzverwalter nicht (BGH v. 27.9.1990 - IX ZR 250/89, MDR 1991, 334 = NJW 1991, 40 [41]; Pape, ZIP 1988, 1293).

3. Zu den wirtschaftlich Beteiligten i.S.d. § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO, die vorrangig zur Finanzierung des beabsichtigten Rechtsstreits heranzuziehen sind, gehören, wenn der Insolvenzverwalter für den Gemeinschuldner prozessieren will, alle Gläubiger, die bei erfolgreichem Abschluss des konkreten Rechtsstreits wenigstens mit einer teilweisen Befriedigung ihrer Ansprüche aus der Masse rechnen können.

Ob die wirtschaftlich Beteiligten auch leistungsbereit sind, ist unerheblich (BGH v. 24.3.1998 - XI ZR 4/98, MDR 1998, 737; OLG Köln v. 28.5.1999 - 2 W 84/99, OLGReport Köln 2000, 19 = MDR 2000, 51; OLG Düsseldorf v. 18.3.2002 - 21 W 48/01, OLGReport Düsseldorf 2002...

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