Leitsatz (amtlich)

Es liegt kein strafloser fahrlässiger Beitrag zu einem Selbstmord vor, sondern erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen einer fahrlässigen Tötung, wenn der Täter eine von ihm fahrlässig für ungeladen gehaltene Pistole auf das Verlangen des anderen auf ihn richtet, abdrückt und ihn tötet.

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 17.06.2002; Aktenzeichen 13 KLs 101 Js 773/01)

 

Tenor

  • I.

    Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ... wird der Beschluß der 13. Strafkammer des Landgerichts ... vom 17.6.2002 aufgehoben.

  • II.

    Die Anklage der Staatsanwaltschaft ... vom 5.4.2002 wird zur Hauptverhandlung zugelassen und das Haupt verfahren zur Verhandlung vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts ... eröffnet.

 

Gründe

I.

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ... zur Strafkammer vom 5.4.2002 legt der Angeschuldigten ... zur Last, ihren Ehemann am 9.5.2001 dadurch fahrlässig getötet zu haben, daß sie ihm eine Pistole an die Schläfe setzte und abdrückte; sie habe fahrlässig gehandelt, da sie die im Lauf befindliche Patrone aus Unachtsamkeit übersehen habe.

Ihr Ehemann habe sie bei einer Aussprache über die von ihr beabsichtigte Scheidung gefragt, ob sie sich vorstellen könne, ihn zu erschießen. Dann habe er sie aufgefordert, eine unter einem Kissen verborgene Pistole zu nehmen und auf ihn zu schießen. Mit Hilfe ihres Ehemanns habe sie sich davon überzeugt, daß keine Patrone im Magazin gewesen sei; erneut habe er von ihr gefordert, auf seine Stirn oder Schläfe zu zielen; schließlich habe sie es getan und abgedrückt.

Mit Beschluß vom 17.6.2002 hat die 13. Strafkammer des ... die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten der Staatskasse auferlegt und ausgesprochen, daß die Angeschuldigte für die erlittene Polizei- und Untersuchungshaft aus der Staatskasse zu entschädigen sei.

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen sei davon auszugehen, daß sich der Ehemann habe selbst töten wollen und seine Ehefrau dabei als Werkzeug benutzt habe. Das Verhalten der Angeschuldigten stelle sich damit als - unbewußte - Förderung einer von ihrem Ehemann eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung dar. Wer eine solche Selbstgefährdung vorsätzlich oder fahrlässig veranlasse, ermögliche oder fördere, mache sich nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar. Die Kammer verweist hierzu auf die Entscheidungen BGHSt 32, 262, BGH in NStZ 85, 25 und BGH in NStZ 86, 266.

Im übrigen habe die Angeschuldigte auch gar nicht fahrlässig gehandelt. Ihr Ehemann habe ihr versichert, die Waffe sei nicht geladen, und dies durch Herausnahme des Magazins zusätzlich demonstriert. Zudem habe sie sich selbst überzeugt, daß das Magazin leer gewesen sei (vgl. Aussage vom 10.4.2001: Über die Pistole kenne ich gar nichts. Mein Mann hat gesagt, die Pistole ist nicht geladen. Ich habe mich überzeugt, daß da keine Patronen drin waren; habe ich mit Fingern hin und her gestochert); das Maß der erforderlichen Sorgfalt richte sich nach den persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten des Täters.

Gegen diesen der Staatsanwaltschaft am 24.6.2002 zugestellten Beschluß richtet sich ihre sofortige Beschwerde vom 28.6.2002.

Der Verteidiger hat im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 8.7.2002 Stellung genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 210 Abs. 2, 311 Abs. 2 StPO) und begründet.

Der vorliegende Sachverhalt ist rechtlich anders zu bewerten als der Sachverhalt in den von der Kammer zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs.

Diese Entscheidungen gehen von folgender Überlegung aus: Wenn jemand seinen eigenen Tod herbeiführen will und der andere vorsätzlich, aber mit bloßem Gehilfenvorsatz, mitwirkt, bleibt der Gehilfe straflos; denn Selbstmord ist nicht strafbar, also auch nicht die Beihilfe zu ihm.

Wenn nun selbst die vorsätzliche Mitwirkung beim Selbstmord straflos ist, muß es die fahrlässige Ermöglichung des Selbstmordes erst Recht sein.

Dieses Argument ist aber nur durchschlagend, wenn ein gleichartiges äußeres Handeln jeweils mit oder ohne Vorsatz des Handelnden miteinander verglichen wird und das Handeln bei Vorsatz nur Beihilfe zum Selbstmord ist.

In allen drei zitierten und in weiteren vom BGH entschiedenen Fällen, in denen das Argument eine Rolle spielt, wird der letzte Schritt von dem getan, der zu sterben wünscht, oder das Risiko für sich oder sein Leben eingeht; in keinem der zitierten Fälle überläßt diese Person den letzten der für den tödlichen Ausgang maßgeblichen Handlungsschritte dem anderen.

1.

Im Fall BGHSt 32, 262 (Urteil vom 14.2.1984). besaß der spätere Verstorbene Heroin und bot dem Angeklagten an, es gemeinsam zu konsumieren. Er sagte, er sei als Drogenkonsument bekannt und bekäme "nirgends mehr" eine Spritze. Der Angeklagte kaufte Einwegspritzen. Jeder der beiden verabreichte sich selbst eine Spritze; der andere verstarb, der Angeklagte überlebte.

Der Bundesgerichtshof verneinte die Strafbarkeit. Der Angekla...

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