Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Voraussetzungen einer analogen Anwendung der §§ 84 ff. HGB

 

Leitsatz (amtlich)

Auf einen Vertragshändlervertrag ist Handelsvertreterrecht entsprechend anwendbar, wenn der Vertragshändler auf Grund der vertraglichen Abmachungen und damit übernommener handelsvertreterrechtlicher Pflichten nach dem Gesamtbild seiner Bindungen und Verpflichtungen so in die Absatzorganisation des Herstellers eingliedert ist, dass er wirtschaftlich in erheblichem Umfang einem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen hat. Eine der Stellung eines Handelsvertreters vergleichbare Eingliederung in die Absatzorganisation ist gegeben, wenn sich der Vertragshändler für den Vertrieb der Erzeugnisse des Herstellers oder Lieferanten wie ein Handelsvertreter einzusetzen hat und auch sonst Bindungen und Verpflichtungen unterliegt, wie sie für einen Handelsvertreter typisch sind. Entscheidend ist, ob sich der Vertragshändler mit der Übernahme von Vertragspflichten eines bedeutenden Teils seiner unternehmerischen Freiheit begeben und sich mit einem bedeutsamen Teil seines Unternehmens ähnlich einem Handelsvertreter in die Vertriebsorganisation des Herstellers/Lieferanten eingefügt hat.

Die entsprechende Anwendung des § 89b HGB im Vertragshändlervertragsverhältnis setzt darüber hinaus voraus, dass der Handelsvertreter gegenüber dem Hersteller vertraglich verpflichtet ist, diesem bei der Beendigung des Vertragsverhältnisses seinen Kundenstamm zu überlassen, so dass sich der Hersteller den Kundenstamm sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstamms erst im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung oder schon während der Vertragszeit durch laufende Unterrichtung des Herstellers über Geschäftsabschlüsse und Kundenbeziehungen zu erfüllen ist. Vorausgesetzt wird nur, dass der Hersteller hierdurch tatsächlich in die Lage versetzt wird, den Kundenstamm nach Beendigung des Vertragsverhältnisses weiter zu nutzen. Dabei muss sich die Verpflichtung nicht ausdrücklich aus den Vertragsbestimmungen ergeben, sondern kann auch stillschweigend durch schlüssiges Verhalten begründet werden.

 

Normenkette

HGB §§ 89, 89b; BGB § 280

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 12.05.2011; Aktenzeichen 86 O 114/10)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 12.5.2011 verkündete Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des LG Köln - 86 O 114/10 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das angefochtene Urteil sowie das Berufungsurteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die gegen sie gerichtete Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist der größte deutsche Fachhändler für elektronische Mess- und Prüfgeräte, Oszilloskope und weitere elektronische Spezialgeräte. Die Beklagte ist die deutsche Niederlassung eines renommierten US-amerikanischen Herstellers von Oszilloskopen.

Die Klägerin vertrieb seit März 1988 Produkte, insbesondere Oszilloskope, der Beklagten. Grundlage war zunächst ein Rahmenvertrag vom 1.3.1988 einschließlich eines Distributorenvertrags, Distributorscheine über Produktfreigaben, eine Liste der geschützten U Kunden sowie eine Gebietsabgrenzung, allgemeine Bestimmungen für die Lieferung von U Produkten, die allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen der U GmbH, die allgemeinen Kundendienstbedingungen der U GmbH sowie eine Zusatzvereinbarung "Allgemeine Exportbestimmungen für U Produkte". Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlagen K 1 und K 2 zur Klageschrift verwiesen. Der Vertrag hatte eine Erstlaufzeit von einem Jahr und verlängerte sich gem. Ziff. 12 des Distributorenvertrags jeweils, falls er nicht ½ Jahr vor dem jeweiligen Ablauf von einem der Vertragspartner schriftlich gekündigt wird.

Mit Email vom 5.10.2005 (Anlage BKK 7e, Bl. 305 GA) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass es einer vorherigen Genehmigung durch die Beklagte bedürfe, wenn Endkundenrabatte vergeben würden, die 8 % bzw. 16 % überschreiten würden. Darüber hinaus bleibe die Verpflichtung zur vorherigen Projektfreigabe bestehen. Zuletzt erfolgte die Zusammenarbeit zwischen den Parteien auf Grundlage eines Partnervertrags vom 04.09./9.9.2008, der rückwirkend zum 1.6.2008 in Kraft trat. Ergänzt wurde diese Vereinbarung durch einen D Certification (Vertriebspartner-Erklärung) vom 4.9.2008 (Anlage K 3, K 4), einer Zusatzvereinbarung Vertriebshändler samt Anlagen, den weltweit gültigen Verkaufsbedingungen der Beklagten sowie einem U-Partner-Handbuch. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlagen K 3 bis K 14 sowie das in der mündlichen Verhandlung vom 31.8.2012 überreichte Handbuch Bezug genommen.

In Abschnitt 1.05 des U-Partner-Handbuchs heißt es unter der Überschrift Point-of-Sale Berichterstattung:

"Zum Zweck...

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