Leitsatz (amtlich)

›1. Wer in Kenntnis der Schädlichkeit des Nikotinabusus für die Heilungschancen einer arteriellen Verschlußkrankheit entgegen ärztlicher Anordnung nicht vom Rauchen Abstand nimmt, muß sich ein Mitverschuldensanteil (hier: 1/4) zurechnen lassen, wenn er infolge einer ärztlichen Fehlbehandlung (hier: grober Behandlungsfehler) einen Schaden erleidet (hier: Amputationen an einer Extremität wegen eines nicht beherrschbaren Gangrän).‹

2. In Ansehung des größeren Schadensumfangs und des Umstandes, daß der Geschädigte im Juli 1995 an einer Erkrankung verstorben ist, die mit der hier in Rede stehenden nichts zu tun hat, erscheint ein Schmerzensgeld von insgesamt 40.000,-- DM angemessen.

 

Tatbestand

Der Rechtsvorgänger der Kläger war seit mindestens 1971 in der Behandlung des als praktischer Arzt in B. niedergelassenen Beklagten. Im Dezember 1986 war er wegen Verdachts auf Hinterwandinfarkt in stationärer Behandlung im Krankenhaus B.. Vom 29. Mai bis 5. Juni 1987 wurde er erneut dort behandelt. Die dem Beklagten mitgeteilten Diagnosen lauteten: Angina pectoris, Diabetes mellitus, Hypertriglyceridämie. Vom 11. Februar bis 24. März 1988 unterzog er sich einem Kuraufenthalt in der ...-Klinik in K.. Im Entlassungsbericht vom 18. Mai 1988 sind folgende Diagnosen vermerkt:

Diabetes mellitus Typ II b

Retinopathia diabetica Stadium II

(Zustand nach Laserkoagulation beidseits)

Hyperlipoproteinämie

AVK Stadium II b nach Fontaine von Ober- Unterschenkeltyp beidseits

Verdacht auf KHK

Struma diffusa

Degeneratives WS-Syndrom

Hyperurikämie, Fettleber.

Als nachbehandelnde Maßnahme wurde eine Becken-Bein-Angiographie mit Koronarangiographie vorgeschlagen. Der Patient war damals starker Raucher und übergewichtig (88,2 kg bei 173,5 cm Körperlänge). Am 20. Juli 1990 stellte er sich bei dem Beklagten wegen einer Gangrän an der linken Großzehe vor, der die Erkrankung anschließend erfolglos behandelte. Am 4. September 1990 überwies er ihn an einen Facharzt für Angiologie zur weiteren Diagnostik. Am 1. Oktober 1990 wurde er Dr. G. vorgestellt, der die sofortige stationäre Behandlung veranlaßte. In der Folgezeit wurde er im ...-Hospital B. mehrfach operiert. Am 5. Oktober 1990 wurden die linke Großzehe und die zweite Zehe links amputiert, am 9. November 1990 der gesamte linke Vorderfuß, am 12. November 1990 der linke Unterschenkel. Am 20. Dezember 1990 wurden der Unterschenkel, das Knie und ein Teil des Oberschenkels links amputiert.

Im Jahre 1993 bildete sich eine Gangrän an der mittleren Großzehe des rechten Fußes, was am 03.03.1993 zur Amputation dieser Zehe führte. Im April 1995 wurde der rechte Unterschenkel amputiert. Am 2. Juli 1995 verstarb er an Lungenkrebs.

Er hat den Beklagten für den Verlust des linken Beines verantwortlich gemacht und ihn auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht wegen aller materiellen und immateriellen Schäden in Anspruch genommen. Er hat behauptet, der Beklagte habe ihn jedenfalls seit Bekanntwerden der arteriellen Verschlußkrankheit nicht richtig behandelt. Er habe es versäumt, den Diabetes optimal einzustellen und das Cholesterin in den Normbereich zu bringen. Art und Umfang der AVK seien nicht abgeklärt worden. Deshalb sei es schließlich zum Auftreten einer Gangrän gekommen, die der Beklagte völlig unsachgemäß behandelt habe. Bei richtiger Behandlung wäre es nicht zu den Amputationen gekommen.

Er hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum vom 20. Dezember 1990 bis zum 10. Oktober 1992 nebst 4 % Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde,

2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihm alle materiellen und immateriellen Schäden, letztere, soweit sie nach dem 10. Oktober 1992 entstünden, aus der Behandlung der Durchblutungsstörungen des linken Beines und Fußes zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen seien.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat seine Maßnahmen als richtig verteidigt und die Schadensursächlichkeit in Abrede gestellt. Schließlich hat er behauptet, daß der Patient durch seine ungesunde Lebensweise (Nikotinabusus) und sein Übergewicht die entscheidenden Ursachen für die Erkrankung gesetzt habe. Trotz eindringlicher Hinweise habe er sich nicht umgestellt. Eine Angiographie habe er abgelehnt. Auch die von Dr. B. am 4. September 1990 vorgeschlagene Therapie habe er abgelehnt.

Das Landgericht hat, sachverständig beraten, der Klage zum Teil stattgegeben.

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Er behauptet, der Erblasser habe sich wegen der Gangrän erstmals bei ihm am 20. Juli 1990 vorgestellt. Eine von ihm vorgeschlagene Überweisung an einen Facharzt (Angiologe oder Chirurg) habe er abgelehnt und um konservative Behandlung gebeten. Anfang September 1990 habe er ihn dann an Dr. B. verwiesen, der eine konservative stationäre Rheotherapie vorgeschlagen habe. Der Erblasser ha...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge