Leitsatz (amtlich)

1. Eine Vereinbarung, in der sich der Inhaber eines medizinischen Labors gegenüber einem Zahnarzt verpflichtet, von allen Nettoumsätzen einen bestimmten Prozentsatz zurück zu gewähren, ist sittenwidrig, wenn es die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise dem Zahnarzt ermöglichen, gegenüber den Patienten bzw. Kassen im Ergebnis höhere Laborkosten abzurechnen, als tatsächlich angefallen sind.

2. Dem Inhaber des Labors kann ungeachtet der Vorschrift des § 817 BGB ein Bereicherungsanspruch gegen den Arzt zustehen, wenn er sich auf die sittenwidrige Vereinbarung eingelassen hat, um den vom Arzt angedrohten Entzug sämtlicher Aufträge zu verhindern.

 

Normenkette

BGB §§ 134, 138, 812, 817

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 15 O 797/01)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 15. Zivilkammer des LG Köln v. 14.1.2002 – 15 O 797/01 aufgehoben.

 

Gründe

Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

Das LG hat der Antragstellerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage zu Unrecht verweigert.

1. Unzutreffend ist die Ansicht des LG, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil der Klagevortrag unschlüssig sei.

Die Antragstellerin hat für den Klageanspruch dem Grunde nach schlüssig vorgetragen. Sie stützt den Anspruch auf Zahlung von 45.794,04 EUR auf folgenden Sachverhalt: Der Antragsgegner ist Zahnarzt, die Antragstellerin betreibt (in Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit einem Zahntechnikermeister) ein Dentallabor. Die Aufträge des Antragsgegners an dieses Dentallabor machen ca. 80 % des Umsatzes aus. Zwischen den Genannten besteht u.a. die Vereinbarung, dass die Antragstellerin dem Antragsgegner von allen Nettoumsätzen mit dessen Zahnarztpraxis 7 % in bar zurück gewährt. Mit dieser Barrückzahlung hat es folgende Bewandtnis: Der Antragsgegner rechnet die Laborleistungen gegenüber den Patienten bzw. Kassen nach dem Bundeseinheitlichen Leistungsverzeichnis (BEL II) ab. Durch die Barrückerstattung der Antragstellerin – die den Patienten und Kassen unbekannt ist und nicht zu einer Reduzierung der diesen berechneten Kosten führt – liegen seine tatsächlichen Aufwendungen aber erheblich unter den Listenbeträgen. Das Anliegen der Antragstellerin, von den Barrückzahlungen abzusehen, weil dadurch die Existenz des Dentallabors gefährdet sei, beantwortete der Antragsgegner damit, im Fall der Nichtzahlung sämtliche Aufträge zu entziehen. Die Antragstellerin hält die auf die Rückzahlung gerichtete Vereinbarung für sittenwidrig und verlangt Erstattung der insoweit in der Vergangenheit gezahlten Beträge.

Dieser Anspruch kann, sofern sich der Vortrag der Antragstellerin als richtig erweist, begründet sein. Die Ansicht des LG, eine solche Vereinbarung unterliege dem Grundsatz „pacta sunt servanda”, ist ersichtlich verfehlt. Eine von einem Arzt mit einem Labor getroffene Vereinbarung, die dem Arzt den Betrug an den Patienten bzw. den Kassen ermöglichen soll, ist entweder nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 263 StGB oder nach § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig; je nach den Umständen, unter denen dem Labor eine Mitwirkung an dem gesetzeswidrigen Vorgehen abgenötigt wird, kommt auch eine Nichtigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB in Betracht. An dieser rechtlichen Beurteilung ändert sich nichts, wenn – was das LG in Erwägung zieht – die von der Antragstellerin vorgetragene Vorgehensweise einer gewissen häufig geübten Praxis entspricht; auf Betrug und eigennützige Ausbeutung abhängiger Vertragspartner angelegte Verhaltensweisen verlieren den Makel der Sittenwidrigkeit auch dann nicht, wenn sie sich allgemeiner Beliebtheit erfreuen (hier möglicherweise begünstigt durch Kontrolldefizite im ärztlichen Abrechnungswesen). Für die vorliegende Prüfung im Prozesskostenhilfeverfahren reicht die Feststellung, dass ein Rechtsgeschäft der vorgetragenen Art nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist, es mithin jedenfalls nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist (zur Definition vgl. BGH v. 8.12.1982 – IVb ZR 333/81, BGHZ 86, 82 [88] = MDR 1983, 296; BGHZ 107, 92 [97]). Darauf, ob sich die Nichtigkeit wegen einer Beteiligung der Antragstellerin an dem verbotenen Verhalten des Antragsgegners schon aus § 134 BGB ergibt, und darauf, ob der Antragsgegner darüber hinaus eine Zwangslage der Antragstellerin ausgenutzt hat und die weiteren Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB vorliegen, kommt es deshalb für die hier vorzunehmende Prüfung nicht an.

Die nach § 138 Abs. 1 BGB nichtige Vereinbarung musste von der Antragstellerin nicht nach dem Grundsatz „pacta sunt servanda” – der bei einseitiger Ausnutzung der Vertragsfreiheit ohnehin einer kritischen Betrachtung bedarf, vgl. BVerfG v. 19.10.1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89, BVerfGE 89, 214 [231 ff.] – beachtet werden. Sie kann vielmehr grundsätzlich einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 BGB auf Rückzahlung der auf ...

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