Entscheidungsstichwort (Thema)

Inkongruente Deckung und Insolvenzanfechtung bei Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in der Krise

 

Normenkette

InsO § 131

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 10.05.2004; Aktenzeichen 6 O 482/03)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 03.11.2005; Aktenzeichen IX ZR 35/05)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 16. Zivilkammer des LG Koblenz - Einzelrichter - vom 10.5.2004 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Zinsen erst ab 5.11.2003 zu zahlen sind.

Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung seitens des Klägers durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung gem. § 108 ZPO i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages leisten, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung entsprechende Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

A) Der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen der G.S. GmbH, fordert unter Berufung auf die Insolvenzanfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO von der beklagten Krankenversicherung Sozialversicherungsbeiträge zurück, die teilweise im letzten Monat vor dem Antrag vom 30.10.2002 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, teilweise nach diesem Antrag, an die Beklagte geflossen sind. Nachdem der Arbeitgeber, die Gemeinschuldnerin, mit der Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für die Monate Juni bis September 2002 in Verzug geraten war, betrieb die Beklagte die Zwangsvollstreckung, worauf ein Teilbetrag gezahlt wurde. Nachdem keine weiteren Zahlungen erfolgten, stellte der Beklagte Insolvenzantrag; darauf erfolgten weitere Zahlungen. Schließlich wurde mit Beschluss vom 1.2.2003 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet.

Der Kläger ist unter Heranziehung der Rechtsprechung des BGH der Auffassung, die Zahlungen aufgrund angedrohter und durchgeführter Zwangsvollstreckung seien inkongruent und unterlägen deshalb der Insolvenzanfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

Die Beklagte verweist auf die Entscheidung des EuGH vom 15.5.2003 (EuGH v. 15.5.2003, ZInsO 2003, 514 f.), wonach gemäß den Richtlinien 80/987/EWG und 2002/74/EG zu gewährleisten sei, dass die Arbeitnehmer und damit auch die Sozialversicherungsträger vom Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens an rückwirkend 3 Monate für Lohn und Versicherungsbeiträge abgesichert sein müssten. Die Rechtsprechung des BGH zur insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit von durch die Krankenversicherung vereinnahmten Beiträgen (BGH ZInsO 2003, 755 f.) und zur inkongruenten Deckung bei Zahlung unter Druck der Zwangsvollstreckung widerspreche dieser Garantie. Da die Arbeitnehmeranteile der Beiträge bei ihrer Fälligkeit durch die erbrachte Arbeit bereits verdient seien, würden sie im Übrigen aus dem Vermögen der Arbeitnehmer gezahlt. Es handele sich deshalb um Bargeschäfte, die nur unter den - nicht vorliegenden - Voraussetzungen von § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar seien. Auch seien keine Gläubiger benachteiligt.

Das LG hat durch das angefochtene Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen nach Maßgabe der Ausführungen im Folgenden gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 36.170,69 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.12.2002 zu zahlen.

In den Gründen ist dargelegt, es handele sich bei den vom Konto der Schuldnerin geflossenen Zahlungen um eine inkongruente Leistung, die die Gläubiger benachteiligt habe. Die Rechtsprechung des BGH zur Gläubigerbenachteiligung bei Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber in bestimmten Zeiträumen und zur Inkongruenz von Leistungen unter dem Eindruck einer Zwangsvollstreckung stehe nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH betreffend die Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (80/987/EWG); die von der Richtlinie vom 20.10.1980 geforderte Sicherstellung des Arbeitsentgelts und der Leistungsansprüche der Arbeitnehmer ggü. den Versicherungsträgern sei durch die Absicherung durch das Insolvenzgeld gewährleistet.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie den Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt.

Sie betont, die ungeachtet der Änderungsrichtlinie 2002/74/EG vom 23.9.2002 verbindliche Richtlinie 80/987 garantiere die Befriedigung der Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin und der Sozialversicherungsträger und damit das Recht auf Behalt der vereinnahmten Beträge. Diese Richtlinie sei nicht umgesetzt. Im Übrigen seien die Zahlungen, die aus dem Vermögen des Geschäftsführers der Beklagten erbracht worden seien, auch nicht inkongruent; auch sei sie als Einzugsstelle nicht Anfechtungsgegnerin und nicht mehr bereichert.

Der Kläger, der Zurückweisung der Berufung beantragt, hält daran fest, die Richtlinie sei in ...

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