Entscheidungsstichwort (Thema)

Verantwortlichkeit für AIDS-Infektion der Ehefrau durch Verabreichung von Blutprodukten an den Ehemann im Jugendalter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für eine HIV-Infektion infolge der Verabreichung eines verseuchten Blutproduktes spricht der Beweis des ersten Anscheins, wenn der Infizierte keiner der HIV-Risikogruppen angehörte und durch die Art seiner Lebensführung keiner gesteigerten Infektionsgefahr ausgesetzt war.

2. Behauptet der HIV-Infizierte, dass ihm das im Sommer 1985 verabreichte Blutprodukt PPSB aus einer noch in 1984 hergestellten, lediglich trockenerhitzten, nicht pasteurisierten und HIV-infizierten Charge gestammt habe, ist es an der Behandlungsseite vorzutragen, welches Präparat mit welcher Chargennummer eingesetzt wurde. Schweigt die Behandlungsseite, ist zu Gunsten des HIV-Infizierten von dessen Behauptung auszugehen.

3. Ein Patient, der in 1985 mit erheblichen Mengen Frischblut und Blutprodukten versorgt wurde, war von der Behandlungsseite über eventuelle Infizierung mit dem HI-Virus und die damit zusammenhängenden besonderen Risiken aufzuklären. Dem Patient war außerdem eine HIV-Testung anzubieten. Fehlen gegenteilige Anhaltspunkte, ist davon auszugehen, dass sich der so aufgeklärte Patient einer HIV-Testung unterzogen hätte.

4. Die ausschließlich infolge sexuellen Kontaktes vom Erstinfizierten auf seinen Partner übertragene HIV-Infektion kann haftungsrechtlich dem Arzt zugerechnet werden, der die HIV-Infektion des Erstinfizierten durch Verabreichung nicht sicherer Blutprodukte verursachte und den Erstinfizierten nicht über Möglichkeit einer HIV-Infektion und die damit zusammenhängenden besonderen Risiken und die Möglichkeit einer HIV-Testung aufklärte. Dies gilt auch dann, wenn - so hier - der (spätere Ehe-)Mann, damals 15-jährig, seine (spätere Ehe-)Frau überhaupt noch nicht kannte. Die spätere Ehefrau unterfällt dem sog. Schutzbereich der Norm auch dann, wenn zwischen ihr und dem späteren Ehemann zum Zeitpunkt der Fehlbehandlung des Mannes noch keine personale Sonderbeziehung bestand.

5. 250.000 DM Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Zukunftsschäden zu Gunsten der (Ehe-)Frau, die sich bei ihrem (Ehe-)Mann HIV-infizierte, nachdem dieser durch die Verabreichung unsicherer Blutprodukte HIV-infiziert und im Anschluss an die Versorgung nicht auf Möglichkeit einer HIV-Infektion und die damit zusammenhängenden besonderen Risiken und die Möglichkeit einer HIV-Testung hingewiesen wurde.

 

Verfahrensgang

LG Trier (Urteil vom 20.08.2001; Aktenzeichen 2 O 160/01)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Trier vom 20.8.2001 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schmerzensgeld i.H.v. 127.823 Euro nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 20.11.2000 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden materiellen Schaden zu ersetzen, der künftig dadurch entsteht, dass sie aufgrund der ihrem Ehemann ... im Krankenhaus in ... zugefügten HIV-Infektion ebenfalls infiziert worden ist, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergeleitet worden ist oder übergeleitet wird.

II. Die Kosten der Streitverkündeten trägt diese selbst.

Die übrigen Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung seitens der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Klägerin bleibt insoweit nachgelassen, die Sicherheit auch durch Vorlage einer Bürgschaft einer deutschen Bank oder Sparkasse zu erbringen.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin erstrebt die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld für eine bei ihr im Jahre 1998 diagnostizierte HIV-Infektion; darüber hinaus begehrt sie die Feststellung, dass die Beklagte auch den materiellen Schaden zu erstatten hat, der ihr künftig wegen der HIV-Infektion entsteht, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergeleitet worden ist oder übergeleitet wird.

Die Klägerin lernte im Jahre 1988 den ..., geboren am ... 1970, kennen und ist seit dem ... 1994 mit ihm verheiratet.

... erlitt am 29.6.1985 einen Mopedunfall; aufgrund seiner schweren Verletzungen (commotio cerebri, schwere Knochen- und Weichteilverletzungen im Bereich des linken Beines) wurde er in das ... Krankenhaus in ... eingeliefert, dessen Träger bis zum 31.1.1986 der streitverkündete Landkreis war und nunmehr die Beklagte ist. ... wurde nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus am 29.6.1985 im Bereich des linken Beines operiert. Aufgrund des erlittenen Blutverlustes erhielt er am Tage der Operation und in der Folgezeit Frischblut von drei verschiedenen Spendern; darüber hinaus wurde er bis zum 16.7.1985 mit weiteren aus Blutspenden hergestellten Produkten (in Plasmaproteinlösung, Humanalbumin oder NaC...

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