Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfrage, ob einem Arzt ein Behandlungsfehler unterlaufen ist, möglicher Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens

 

Normenkette

ZPO § 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Baden-Baden (Beschluss vom 26.04.2010; Aktenzeichen 1 OH 1/10)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 13.09.2011; Aktenzeichen VI ZB 67/10)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschlusses des LG Baden-Baden vom 26.4.2010 (1 OH 1/10) im Kostenausspruch aufgehoben und im Übrigen wie folgt geändert:

Es soll ein schriftliches Sachverständigengutachten über folgende Behauptungen der Antragstellerin eingeholt werden:

1. Die vom Antragsgegner Ziff. 1 in der Zeit vom 15. bis 23.7.2008 durchgeführte Behandlung habe eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und sei mit Fehlern verbunden gewesen, die aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erschienen, weil sie einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürften. Insbesondere habe der Antragsgegner zu 1) die Antragstellerin am 23.7.2008 nicht dahingehend beraten dürfen, sich bis zum Oktober 2008 zu gedulden.

2. Die Ärzte der D. hätten das rechte Bein der Antragstellerin ab dem 27.8.2008 für 17 Tage nicht mobilisieren dürfen. Dies habe gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen bzw. einen Fehler bedeutet, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheine, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfe.

II. Die Bestimmung und Instruktion des Sachverständigen sowie die Entscheidung über die Gegenanträge der Antragsgegnerin Ziff. 1 werden dem LG übertragen.

III. Die durch Beschluss des LG Baden-Baden vom 17.5.2010 geänderte Wertfestsetzung unter Ziff. 3 des Beschlusses vom 26.4.2010 wird ersatzlos aufgehoben.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin will im Wege des selbständigen Beweisverfahrens die Feststellung erreichen, dass die Behandlung der im Juli 2008 erlittenen Fraktur ihrer rechten Kniescheibe durch den Antragsgegner Ziff. 1, einen niedergelassenen Orthopäden, und die in der Klinik der Antragsgegnerin Ziff. 2 tätigen Ärzte in einem Maß fehlerhaft war, das die Annahme eines groben Behandlungsfehlers rechtfertigt. Das LG hat den Antrag durch Beschluss vom 26.4.2010, auf den wegen der Darstellung des Sach- und Streitstands Bezug genommen wird, mit der Begründung zurückgewiesen, die isolierte und auf umstrittener Tatsachengrundlage vorzunehmende Feststellung eines Behandlungsfehlers und die Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für die - dem Richter vorbehaltene - Bewertung dieses Fehlers als grob seien in einem selbständigen Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO nicht zulässig. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens hat das LG der Antragstellerin auferlegt. Den Streitwert hat es zunächst auf 10.000 EUR festgesetzt und - auf die Streitwertbeschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners Ziff. 1 - durch Beschluss vom 17.5.2010 auf 17.800 EUR erhöht.

Gegen den am 30.4.2010 zugestellten Beschluss vom 26.4.2010 hat die Antragstellerin am 14.5.2010 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie verfolgt ihren Antrag in vollem Umfang weiter und beantragt hilfsweise die Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Zustand ihres Kniegelenks und dessen Ursachen. Zur Begründung macht sie insbesondere geltend, Ursache eines Personenschadens i.S.v. § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO könne auch die Missachtung des ärztlichen Sorgfaltsmaßstabs sein und das nach dieser Vorschrift erforderliche rechtliche Interesse ergebe sich schon daraus, dass der Patient bei einem ungünstigen Ergebnis des Beweisverfahrens voraussichtlich von einer Klage absehen werde. Die Antragsgegner treten der Beschwerde entgegen. Sie verteidigen den angefochtenen Beschluss und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die sofortige Beschwerde ist gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Denn das LG hat den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gegen die Antragsgegner Ziff. 1 und 2 zu Unrecht zurückgewiesen.

1. Das selbständige Beweisverfahren ist zulässig. Da die Antragsgegner nicht zugestimmt haben und auch kein Verlust von Beweismitteln zu besorgen ist, folgt das zwar nicht schon aus § 485 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO sind aber erfüllt.

a) Nach dieser Vorschrift kann eine Partei schon vor Anhängigkeit eines Rechtsstreits die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen verlangen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass die Ursache eines Personenschadens festgestellt wird. Ein solches rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. D...

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