Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Eine unerlaubte Einreise und ein unerlaubter Aufenthalt im Sinne der Straftatbestände des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG liegen außerhalb des Anwendungsbereichs der Gleichstellungsregelung des § 95 Abs. 6 AufenthG nicht vor, wenn der Ausländer über irgendeinen den Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubenden Aufenthaltstitel verfügt, ohne dass es auf den individuell verfolgten Aufenthaltszweck ankommt.

  • 2.

    Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Auslegung der Entscheidung Nr. 896/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 zur Einführung einer vereinfachten Regelung über die Personenkontrollen an den Außengrenzen, die darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten bestimmte von der Schweiz und von Liechtenstein ausgestellte Aufenthaltserlaubnisse für die Zwecke der Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet einseitig anerkennen (ABl. L 167 v. 20.06.2006, 8)

 

Tenor

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zur Auslegung der Entscheidung Nr. 896/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 zur Einführung einer vereinfachten Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen, die darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten bestimmte von der Schweiz und von Liechtenstein ausgestellte Aufenthaltserlaubnisse für die Zwecke der Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet einseitig anerkennen (ABl. L 167 v. 20.06.2006, 8) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die Regelung in Art. 1 und 2 der Entscheidung Nr. 896/2006/EG dahin auszulegen, dass den im Anhang aufgeführten Aufenthaltserlaubnissen der Schweiz und von Liechtenstein kraft der einseitigen Anerkennung durch die Schengen-Mitgliedstaaten als gleichwertig zu ihren einheitlichen oder nationalen Visa unmittelbar die Wirkung eines die Durchreise durch den gemeinsamen Raum gestattenden Aufenthaltstitels zukommt;

oder

ist die Regelung der Art. 1 und 2 der Entscheidung Nr. 896/2006/EG so zu verstehen, dass Drittstaatsangehörige, welche Inhaber einer der im Anhang aufgeführten, von den Schengen-Mitgliedstaaten einseitig anerkannten Aufenthaltserlaubnissen der Schweiz und von Liechtenstein sind, für den Zweck der Durchreise durch den gemeinsamen Raum von der sich aus Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) 539/2001 ergebenden Visumpflicht freigestellt werden?

 

Gründe

I.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft K. vom 06.10.2006 legt dem Angeklagten zur Last, er sei am 04.08.2006 von der Schweiz kommend in das Bundesgebiet eingereist und habe sich bis 06.08.2006 darin aufgehalten, obwohl er als serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger nicht im Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels in Form eines Visums gewesen sei.

Das Amtsgericht S. hat den Angeklagten mit Urteil vom 29.11.2006 vom Vorwurf der unerlaubten Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 3 und 2 AufenthG, 52 StGB freigesprochen, weil das Verhalten des Angeklagten mit Blick auf die Entscheidung Nr. 896/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.06.2006 zur Einführung einer vereinfachten Regelung für die Personenkontrollen an den Außengrenzen, die darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten bestimmte von der Schweiz und von Liechtenstein ausgestellte Aufenthaltserlaubnisse für die Zwecke der Durchreise durch ihr Hoheitsgebiet einseitig anerkennen (ABl. L 167 v. 20.06.2006, 8) keinen Straftatbestand erfülle. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, über welche der Senat als letztinstanzlich zur Entscheidung berufenes nationales Gericht zu befinden hat.

II.

Nach den Feststellungen lebt der Angeklagte, der ausweislich seines Passes serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger ist, seit Juni 1993 mit jeweils ununterbrochen gültigen Aufenthaltstiteln ständig in der Schweiz. Seit dem 27.03.2006 ist er Inhaber eines schweizerischen Ausländerausweises C, verbunden mit einer Niederlassungsbewilligung C, deren Kontrollfrist am 19.06.2009 ablaufen wird. Der Angeklagte reiste mit seiner Ehefrau und seinen Kindern am 04.08.2006 von der Schweiz nach Deutschland ein. Dabei und bis zur Ausreise am 06.08.2006 führte er seinen gültigen Pass, den schweizerischen Ausländerausweis C und seine gültige schweizerische Fahrerlaubnis mit sich. Auch alle mitfahrenden Familienangehörigen führten gültige Pässe und Ausländerausweise bzw. entsprechende Nachweise für die Kinder mit sich. Ein Visum für sich und seine Familie, wie bei früheren Kurzbesuchen von der Schweiz nach Deutschland, hatte der Angeklagte diesmal nicht beantragt, weil er auf Grund von Medienberichten, wonach durch eine Entscheidung des Rates der Europäischen Gemeinschaften der kurzfristige Aufenthalt in Deutschland für die in der Schweiz lebenden Ausländer visumfrei geworden sei, dies für möglich, wenn auch nicht für sicher hielt und es mit seiner mitreisenden Familie "ausprobieren" wollte. Während seines Aufenthalts im Bundesgebiet vom 04. bis 06.08. 2006 besuchte der Angeklagte Famil...

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