Leitsatz (amtlich)

1. Ist die Befugnis eines Verbandes zur Geltendmachung gesetzlicher Unterlassungsansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG mangels Eintragung in die Liste der qualifizierten Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG entfallen, steht dem Schuldner einer zuvor vertraglich übernommenen Unterlassungs- und Zahlungsverpflichtung ein außerordentliches Kündigungsrecht zu, welches allerdings lediglich ex nunc wirkt (Anschluss an BGH, Urteil vom 26.09.1996 - I ZR 265/95, GRUR 1997, 382 - Altunterwerfung I; Urteil vom 06.07.2000 - I ZR 243/97, GRUR 2001, 85 - Altunterwerfung IV).

2. Ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen stellt es dar, wenn in großer Zahl Abmahnungen ausgesprochen werden, ohne dass bei Ausbleiben einer Unterwerfung eine gerichtliche Klärung herbeigeführt wird. Denn dadurch kann sich der Verdacht aufdrängen, die Abmahntätigkeit werde in erster Linie dazu eingesetzt, Ansprüche auf Aufwendungsersatz und ggf. Vertragsstrafenansprüche entstehen zu lassen (hier i.E. bejaht; Anschluss u.a. an BGH, Urteil vom 04.07.2019 - I ZR 149/18, GRUR 2019, 966 - Umwelthilfe; Urteil vom 26.01.2023 - I ZR 111/22, GRUR 2023, 585 - Mitgliederstruktur).

 

Normenkette

BGB §§ 242, 315, 339; UKlaG § 4; UWG a.F. § 8 Abs. 4; UWG § 8b; UWG n.F. § 8c Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Essen (Aktenzeichen 45 O 23/21)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 25.02.2022 verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen (45 O 23/21) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der klagende - weder in die Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG noch in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragene - Verband nimmt den Beklagten, der unter dem Verkäufer-Namen "I." über die Handelsplattform Amazon Haushaltswaren vertreibt, auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.000,00 EUR wegen Verstößen gegen eine strafbewehrte Unterlassungsvereinbarung in Anspruch.

Aufgrund einer Abmahnung des Klägers vom 17.07.2020 (Anlage B1), auf die Bezug genommen wird, gab der Beklagte am 23.07.2020 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, die inhaltlich der der Abmahnung beigefügten vorformulierten Erklärung entsprach und die der Kläger annahm.

Mit Schreiben vom 24.03.2021 forderte der Kläger den Beklagten wegen eines festgestellten Verstoßes unter Fristsetzung bis zum 12.04.2021 zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 5.000,00 EUR auf.

Nach Zustellung des der Klage zugrunde liegenden Mahnbescheides erklärte der Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 26.05.2021 (Anlage B2), auf das ebenfalls Bezug genommen wird, die Anfechtung sowie hilfsweise die Kündigung der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung vom 23.07.2020.

Die Parteien haben erstinstanzlich mit umfangreichen näheren Ausführungen im Wesentlichen darüber gestritten, ob die Abmahntätigkeit des Klägers unter verschiedenen Aspekten rechtsmissbräuchlich ist und der Geltendmachung der Vertragsstrafe deshalb der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegensteht.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.04.2021 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Terminsprotokoll vom 10.12.2021 Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe aus dem Unterlassungsvertrag vom 23.07.2020 i.V.m. §§ 339 Satz 2, 315 BGB.

Allerdings sei die Unterlassungsverpflichtungserklärung nicht aufgrund der erklärten Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem. §§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1 BGB nichtig. Die Anfechtung greife nicht durch.

Der Geltendmachung der Vertragsstrafe stehe jedoch der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegen, weil im vorliegenden Fall die Interessenabwägung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände zu der Annahme einer missbräuchlichen Abmahnung führe.

Von einem Wettbewerbsverband könne erwartet werden, dass er nur in denjenigen Fällen Abmahnungen ausspreche, die er ggf. einer gerichtlichen Klärung zuführen wolle. Andernfalls könne sich der Verdacht aufdrängen, der Verband setze die Abmahntätigkeit in erster Linie dazu ein, Ansprüche auf Aufwendungsersatz und ggf. Vertragsstrafenansprüche entstehen zu lassen.

Dies sei hier der Fall. Der Kläger spreche in erheblichem Umfang Abmahnungen aus, ohne den Unterlassungsanspruch bei Ausbleiben einer Unterwerfung gerichtl...

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