Leitsatz (amtlich)

1. Sind ein Bauunternehmer und ein Bauträger bei einem zwischen ihnen vor Erlass des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013 (V R 37/10) abgeschlossenen und durchgeführten Bauvertrag übereinstimmend von der Steuerschuldnerschaft des Bauträgers gemäß § 13b Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 UStG 2011 ausgegangen und hat der Bauträger die auf die erbrachten Leistungen des Bauunternehmers entfallende Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt, steht dem Bauunternehmer aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung auch dann ein Anspruch auf Zahlung des Umsatzsteuerbetrags zu, wenn der Bauträger vor dem 14.02.2014 Erstattung der Steuer verlangt und deshalb für den Bauunternehmer die Gefahr entsteht, wegen der Heranziehung als Steuerschuldner gemäß § 27 Abs. 19 UStG die Umsatzsteuer abführen zu müssen.

2. Das Zivilgericht ist jedenfalls zur Prüfung der Zulässigkeit der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden nicht rechtskräftigen und bestrittenen Gegenforderung befugt.

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 011 O 393/17)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten und unter Berücksichtigung der einseitigen Teilerledigungserklärung des klagenden Landes wird das am 16.04.2019 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster teilweise abgeändert.

Die Beklagte bleibt verurteilt, an das klagende Land 385.100,18 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.11.2017 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, soweit das klagende Land von der Beklagten die Zahlung eines weiteren Betrages von 90.097,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.11.2017 begehrt hat.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Dieses und das angefochtene Urteil sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

 

Gründe

I. Das klagende Land begehrt von der Beklagten aus abgetretenem Recht die Nachzahlung von Umsatzsteuer auf bisher netto ausgeglichene Werklohnforderungen.

Die Beklagte ist als Bauträgerin tätig. Die Bauleister U GmbH, S GmbH, V Dachtechnik GmbH und X Landschaftsbau GmbH & Co. KG erbrachten für die Beklagte Bauleistungen. Entsprechend der damaligen Verwaltungspraxis stellten die beauftragten Bauleister der Beklagten Nettobeträge in Rechnung in der Annahme, dass die Beklagte Steuerschuldnerin sei. Nach der früheren Verwaltungsauffassung zu § 13b UStG in der Fassung vom 26.06.2013 waren Unternehmer, die eigene Grundstücke zum Zweck des Verkaufs bebauten (z. B. Bauträger), Steuerschuldner für die von anderen Unternehmern an sie erbrachten Bauleistungen, wenn die Bemessungsgrundlage der von ihnen getätigten Bauleistungen mehr als 10 % der Summe ihrer steuerbaren und nicht steuerbaren Umsätze betrug; auf die konkrete Verwendung der bezogenen Leistung kam es nicht an.

Die Beklagte führte die anfallende Umsatzsteuer direkt an das Finanzamt ab. Im Zeitraum März 2009 bis Dezember 2011 erfolgte die Abführung durch die L Vermögensverwaltung GbR (im Folgenden: GbR). Sie war damals umsatzsteuerrechtliche Organträgerin der Beklagten im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.

Die Praxis der unmittelbaren Umsatzsteuerabführung durch den Bauträger erklärte der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 20.08.2013 (V R 37/10) für unionsgesetzeswidrig. Daraufhin beantragten die Beklagte und die GbR mit Schreiben vom 23.01.2014, ergänzt mit Schreiben vom 17.09.2014, auf deren Inhalte (Anlage K9, Bl. 81-84 d.A.; Anlage K10, Bl. 85 d.A.) zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, eine Rückerstattung der entrichteten Umsatzsteuer für die Jahre 2009 bis 2014. Diesen Anträgen wurde jedenfalls größtenteils entsprochen.

Bei der Finanzverwaltung bestand zunächst Unklarheit, ob die Möglichkeit gegeben war, die Bauleister auf Abführung der Umsatzsteuer in Anspruch zu nehmen oder ob dem gemäß § 176 Abs. 2 AO Vertrauensschutz entgegenstand. Mit am 14.02.2014 veröffentlichtem BMF-Schreiben vom 05.02.2014 - IV D 3 - S 7279/11/10002 (BStBl 2014 I S. 233) und mit weiterem BMF-Schreiben vom 08.05.2014 - IV D 3 - S 7279/11/10002-03 (BStBl 2014 I S. 823) wurden die Finanzämter angewiesen, die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 22.08.2013 in vollem Umfang für nach dem 14.02.2014 ausgeführte Umsätze allgemein anzuwenden. Die betroffenen Unternehmer konnten danach für die Vergangenheit an der bisherigen Handhabung festhalten. Die Notwendigkeit von Rechnungsberichtigungen bestand nicht. Diese Vereinfachungsregelung (Nichtbeanstandungsregelung) sollte beiden Unternehmern bei einvernehmlicher unveränderter Beibehaltung der ...

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