Leitsatz (amtlich)

Die unzureichende Kontrolle einer bestehenden Infektion verstößt gegen den ärztlichen Standard. Wird die Kontrolle bei einer Infektion in der Fußsohle vom Arzt nicht täglich, sondern erst für 5 Tage später angeordnet, so ist dies inakzeptabel und stellt einen groben Behandlungsfehler dar. Sind wegen des Behandlungsfehlers mehrere Operationen erforderlich mit erheblicher Beeinträchtigung des Fußes, so kann dies ein Schmerzengsgeld von 30.000 EUR rechtfertigen.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 823, 253

 

Verfahrensgang

LG Detmold (Urteil vom 05.05.2011; Aktenzeichen 9 O 159/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 5.5.2011 verkündete Urteil der Zivilkammer IV des LG Detmold abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt,

an die Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 30.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.5.2009 zu zahlen;

an die Klägerin weitere 3.274,73 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.7.2010 zu zahlen;

an die Klägerin außergerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 2.707,25 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.7.2010 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen weiteren materiellen und den zukünftigen, derzeit nicht vorhersehbaren, immateriellen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin auf Grund der Ereignisse der Behandlung ab dem 18.6.2008 entstanden ist oder entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen ist oder noch übergeht.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend.

Die Klägerin suchte am 18.6.2008 wegen Beschwerden im Bereich der rechten Ferse den Beklagten auf. Dieser injizierte ihr nach Anfertigung einer Röntgenaufnahme ein Medikament in den Bereich der rechten Fußsohle. Danach traten bei der Klägerin Schmerzen am Fuß auf. Der Beklagte riet ihr, den Fuß hoch zu legen, zu kühlen und ein Schmerzmittel zu nehmen. Bei einer Untersuchung am 23.6.2008 verordnete er ihr ein Antibiotikum wegen des Verdachts auf eine Infektion. Nachdem sich der Zustand nicht gebessert hatte, verordnete der Beklagte der Klägerin am Mittwoch, den 25.6.2008 ein anderes Antibiotikum. Am Freitag, den 27.6.2008 konnte die Klägerin den Beklagten nicht erreichen, weil dessen Praxis urlaubsbedingt geschlossen war. Am Montag, den 30.6.2008 suchte sie ihren Hausarzt auf, der sie sofort in das Klinikum Lippe-Detmold einwies, wo sie vom 30.6.2008 bis zum 29.7.2008 stationär behandelt wurde. Am 9.7.2008 wurde operativ ein Abszess ausgeräumt. Bei einer weiteren Operation am 14.7.2008 erfolgte ein

Wunddebridement mit Sekundärnaht. Vom 27.08. bis 20.9.2008 musste die Klägerin erneut stationär behandelt werden. Eine weitere Wundrevision wurde in der Zeit vom 1.9.2008 bis zum 5.9.2008 durchgeführt. Anschließend erfolgten weitere ambulante Behandlungen.

Die Klägerin hat vor dem LG Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 30.000 EUR, materiellen Schadensersatz und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden mit der Begründung geltend gemacht, sie habe aufgrund der Infektion infolge der vom Beklagten fehlerhaft vorgenommenen Injektion einen irreparablen Dauerschaden erlitten und könne nur noch kurze Wegestrecken zurücklegen, da es ansonsten zu starken Schmerzen komme. Sie habe deswegen Rückenprobleme und Probleme mit den Knien bekommen, könne keine Konfektionsschuhe mehr tragen, benötige orthopädische Einlagen und sei in ihrer Haushaltsführung eingeschränkt.

Das LG hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin wirksam in die Behandlung eingewilligt habe, denn einer Aufklärung über das Infektionsrisiko habe es nicht bedurft. Dass es bei Injektionen in seltenen Fällen zu Entzündungen kommen könne, sei allgemein bekannt. Das Setzen der Spritze durch den Beklagten sei nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht fehlerhaft erfolgt. Die Infektion sei danach schicksalhaft aufgetreten, ohne dass der Beklagte den einzuhaltenden Hygienestandard verletzt habe. Dass der Sachverständige keine eindeutigen Feststellungen habe treffen können, gehe zu Lasten der beweispflichtigen Klägerin. Die Infektion sei zutreffend erkannt worden. Der Beklagte habe auch richtig darauf reagiert. Zwar könne nicht festgestellt werden, dass der Beklagte auch eine engmaschige Kontrolle angeordnet habe. Ein darin liegender eventueller Behandlungsfehler habe sich jedoch auf den weiteren Kausalverlauf nicht ausgewirkt. Die Klägerin habe selbst angegeben, nach der Behandlung kein Vertrauen mehr zu dem Beklagten geha...

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