Leitsatz (amtlich)

Die erforderliche Kenntnis von einer beeinträchtigenden Verfügung kann fehlen, wenn der Berechtigte infolge Tatsachen- oder Rechtsirrtums davon ausgeht, die ihm bekannte Verfügung sei unwirksam und entfalte daher für ihn keine beeinträchtigende Wirkung. Das gilt jedenfalls dann, wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind.

 

Normenkette

BGB § 199 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Aktenzeichen 8 O 434/19)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 04.11.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Bochum abgeändert und die Beklagte im Wege der Stufenklage verurteilt:

Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 00.00.2015 in J./Spanien verstorbenen Erblassers N. X. zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses nebst entsprechenden Verträgen und Belegen, welches folgende Punkte umfasst:

a. alle beim Erbfall vorhandenen Sachen, Immobilien und Forderungen (Aktiva)

b. alle beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten (Erblasser- und Erbfallschulden)

c. alle ergänzungspflichtigen Zuwendungen, die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat, einschließlich Pflicht- und Anstandsschenkungen und ehebezogenen Zuwendungen

d. alle ungeklärten Zuwendungen und Veräußerungen des Erblassers zu Lebzeiten, deren Umstände es nahelegen, es handele sich wenigstens zum Teil um eine Schenkung

e. den Güterstand, in dem der Erblasser verheiratet war.

Soweit das Landgericht die Klage auch im Übrigen abgewiesen hat, wird die Sache unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens zur weiteren Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die Parteien streiten im Wege der Stufenklage um Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche.

Der Kläger ist das einzige Kind des am 00.00.2015 in J./Spanien verstorbenen Erblassers N. X. (geb. 00.00.1933) aus dessen geschiedener erster Ehe mit Frau D. X.. Der in K. geborene Erblasser war deutscher Staatsangehöriger und hatte seinen letzten Wohnsitz in W.. Dort betrieb er bis zum Eintritt in den Ruhestand eine eigene internistische Praxis. Nach Beendigung seiner Berufstätigkeit hielt er sich zeitweilig in Spanien auf. Der Erblasser war in zweiter Ehe mit der Beklagten verheiratet. Aus dieser Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Der Erblasser errichtete am 11.02.2009 in Spanien vor einem dortigen Notar in spanischer Sprache ein Testament, durch das er frühere Testamente ausdrücklich widerrief und die Beklagte zu seiner Alleinerbin einsetzte. Zuvor hatte der Erblasser am 02.06.2003 und 13.04.2007 ebenfalls in Spanien abweichende notarielle Testamente beurkunden lassen, in denen er den Kläger als Alleinerben eingesetzt hatte. Ab dem Jahr 2009 wurde der Erblasser in der Neurologischen Klinik des I.-Hospitals in A. behandelt. Im Jahr 2011 wurde der Erblasser in einer Klinik in P. wegen verschiedener Knochenbrüche behandelt. Der Kläger wurde durch die Beklagte unmittelbar nach dem Tod des Erblassers von dessen Versterben in Kenntnis gesetzt. Am 04.08.2015 erfuhr er auch vom Testament des Erblassers vom 11.02.2009, weil er sich bei der in dem Testament des Erblassers vom 02.06.2003 eingesetzten Testamentsvollstreckerin nach dem Sachstand erkundigt hatte.

Der Kläger stellte am 07.06.2016 beim Amtsgericht P. einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben des Erblassers ausweist (80 VI 374/16 AG P.). Den Antrag stützte er auf das notarielle Testament vom 02.06.2003 und trug vor, der Erblasser sei wegen einer fortschreitenden Demenzerkrankung seit dem Jahr 2006 nicht mehr testierfähig gewesen. Das sei dadurch indiziert, dass der Erblasser seinen Hauptwohnsitz von Spanien nach W. verlegt habe, ab dem Jahr 2007 Telefonanrufe nicht mehr selbst angenommen habe und Besuche durch die Ehefrau des Erblassers abgeblockt worden seien. Am 04.09.2017 beantragte die Beklagte ebenfalls beim Amtsgericht P. die Erteilung eines Erbscheins mit der Begründung, sie sei aufgrund des Testaments vom 11.02.2009 Alleinerbin des Erblassers geworden. Mit Beschluss vom 30.10.2017 erachtete das Amtsgericht P. die zur Begründung des Antrags der Beklagten erforderlichen Tatsachen für festgestellt und führte zur Begründung aus, die vom Kläger geschilderten Tatsachen begründeten keine Testierunfähigkeit des Erblassers. Hiergegen legte der Kläger Beschwerde ein, der das Amtsgericht nicht abhalf. Nachdem der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm im Beschwerdeverfahren durch Beschluss vom 03.07.2019 (15 W 37/18) ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen R. zur Frage der Testierfähigkeit eingeholt hatte und die behauptete Testierunfähigkeit des Erblassers nicht bestätigt worden war, nahm der Kläger seine Beschwerde mit Schriftsatz vom 13.09.2019 zurück. Zugleich forderte er die Beklagte unter Fristsetzung zum 31.10.2019 auf, Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu erteilen und den sich...

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