Entscheidungsstichwort (Thema)

Akteneinsicht an Zivilrecht durch Staatsanwaltschaft. Kartellverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. In Strafakten befindliche Bonusanträge von Kartellanten stehen der Gewährung von Akteneinsicht an ein Zivilgericht durch die Staatsanwaltschaft nicht prinzipiell entgegen. Gleiches gilt für in Strafakten befindliche vertrauliche Entscheidungen der Europäischen Kommission.

2. In den Fällen des § 474 Abs. 1 StPO wird als Regelfall Akteneinsicht gewährt. Sowohl der für den Zivilprozeß maßgebliche Beibringungsgrundsatz als auch die Systematik der abgestuften Akteneinsicht in § 147, § 406e, § 474 und § 475 StPO stehen der Aktenübersendung an ein Zivilgericht auf dessen Anforderung nicht entgegen.

3. Bonusanträge in Kronzeugenprogrammen stellen trotz der den Kartellanten zugesicherten Vertraulichkeit keine ungewöhnliche Art von Daten im Sinne des § 477 Abs. 4 Satz 2 StPO dar.

 

Tenor

Die Verfahren III-1 VAs 116/13 bis 120/13 und 122/13 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Anträge auf gerichtliche Entscheidung werden auf Kosten der Betroffenen als unbegründet verworfen.

Der Geschäftswert wird für den gemeinschaftlichen Antrag der Antragstellerinnen zu 1. - 4. sowie für die Anträge der Antragstellerinnen zu 5. und 6. auf jeweils 500.000,00 Euro festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerinnen wenden sich mit ihren Anträgen gegen die im Schreiben vom 13.06.2013 mitgeteilte Absicht der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, dem Landgericht Berlin in einem dort anhängigen Zivilprozess Einsicht in die Verfahrensakten 130 Js 14/07 zu gewähren.

In dem beim Landgericht Berlin anhängigen Verfahren (96 O 200/10 Kart) werden die Antragstellerinnen zu 3. bis 6. durch eine Streitgenossenschaft, bestehend aus I2 AG, C SE, T3 AG, Ed. Y AG, C AG, N GmbH & Co. KG und Dr. B aus E als Insolvenzverwalter über das Vermögen der I GmbH auf Schadensersatz wegen Kartellverstößen in Anspruch genommen.

Das Verfahren 130 Js 14/07 wurde bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf aufgrund einer Anzeige des Bundeskartellamtes vom 29.08.2006 sowie eines Zufallsfundes im Rahmen einer am 19.06.2006 stattgefundenen Durchsuchung bei verschiedenen Firmen des U-L-Konzerns, vormaliges Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf: 130 Js 2/06, eingeleitet. Es steht im Zusammenhang mit dem sogenannten Aufzugs- und Fahrtreppenkartell: Im Sommer 2003 wurde die Europäische Kommission darüber informiert, dass möglicherweise ein Kartell zwischen den vier größten europäischen Herstellern von Aufzügen und Fahrtreppen mit Geschäftstätigkeit in der Europäischen Union, nämlich L, P, T und U-L, bestehe. Nachdem es ab Januar 2004 zu Durchsuchungen in den Geschäftsräumen von mehreren Gesellschaften dieser Unternehmensgruppen gekommen war, stellten die betroffenen Gesellschaften, u.a. auch sämtliche Antragstellerinnen, in der Folgezeit Anträge nach der sogenannten Europäischen Kronzeugenregelung, der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen. Die Antragstellerinnen zu 1. bis 4. stellten zusätzlich einen sogenannten Kronzeugenantrag beim Bundeskartellamt. Sowohl die Europäische Kommission als auch das Bundeskartellamt sichern in ihren Kronzeugenregelungen die Vertraulichkeit von Angaben zu, die im Rahmen von Kronzeugenanträgen gemacht werden.

In ihrer Entscheidung vom 21.02.2007 (Entscheidung K(2007) 512 endg.) stellte die Kommission fest, dass die Gesellschaften, an die sie gerichtet war, wozu u.a. auch die Antragstellerinnen gehörten, an vier Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln (Zuwiderhandlungen gegen Art. 81 Abs. 1 des EG-Vertrages) in vier Mitgliedsstaaten (Belgien, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden) teilgenommen haben, indem sie die Märkte durch Absprachen und/oder Abstimmung zum Zwecke der Zuweisung von Angeboten und Aufträgen für Verkauf, Montage, Wartung und Modernisierung von Aufzügen und Fahrtreppen untereinander aufgeteilt hätten. Die Antragstellerinnen sollten hinsichtlich Deutschland im Zeitraum vom 01.08.1995 bis zum 05.12.2003 gegen Art. 81 EG verstoßen haben. In der Entscheidung der Kommission, die neben den Antragstellerinnen auch Gesellschaften der Unternehmensgruppe T betraf, wurden Geldbußen in Höhe von insgesamt mehr als 992 Mio. Euro verhängt.

Durch Urteil des EuG vom 13.07.2011 (T-144/07 u.a.) wurden die Geldbußen gegen die Unternehmen der U-L-Gruppe herabgesetzt. Unter anderem wurde die seitens der Kommission festgesetzte Geldbuße wegen Zuwiderhandlung in Deutschland auf 249 480 000 Euro reduziert. Ihr hiergegen beim Gerichtshof der Europäischen Union (C-503 und 506/11 P) eingelegtes Rechtsmittel haben die Antragstellerinnen zu 1. bis 4. im März 2012 zurückgenommen.

Die beim EuG eingereichten Klagen der Gesellschaften der Unternehmensgruppen L (Urteil vom 13.07.2011, T - 151/07) und P (Urteil vom 13.07.2011, T-145/07) blieben ohne Erfolg. Ihre hiergegen eingelegten Rechtsmittel hat der EuGH am 15.06.2012 (Antragstellerin zu 6....

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