Leitsatz (amtlich)

1) Zum Umfang der Amtsermittlungspflicht des Gerichts zur Überprüfung, ob der Betroffene bei der Erteilung einer Vorsorgevollmacht geschäftsunfähig war.

2) Nicht ausräumbare Zweifel an der Wirksamkeit einer Vollmacht, die Anlass für eine gerichtliche Betreuerbestellung geben können, setzen eine sachverständige Bewertung voraus, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung an einer Erkrankung litt, die seine Willensfreiheit jedenfalls nachhaltig beeinträchtigte, und auch bei Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen lediglich offen bleibt, ob es bereits zu einer völligen Aufhebung der Willensfreiheit i.S.d. § 104 Nr. 2 BGB gekommen war.

 

Normenkette

BGB § 104 Nr. 2, § 1896 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Münster (Beschluss vom 27.01.2011; Aktenzeichen 5 T 212/10)

AG Münster (Aktenzeichen 27 XVII A 208)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde, an das LG zurückverwiesen.

 

Gründe

Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG i.V.m. § 111 Abs. 1 S. 1 FGG-RG statthaft sowie formgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 3) folgt bereits daraus, dass ihre Erstbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

In der Sache ist die weitere Beschwerde begründet, da die Entscheidung des LG auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs. 1 FGG.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das LG zutreffend von einer zulässigen Beschwerde der Beteiligten zu 3) ausgegangen. Zutreffend ist insbesondere die Ansicht des LG, dass auf das vorliegende Verfahren, das auf die Anregung der Beteiligten zu 3) vom 26.3.2009 hin eingeleitet worden ist, gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG insgesamt das bis zum 1.9.2009 geltende Recht Anwendung findet, da die Anregung der Beteiligten zu 3) von vorneherein auf die umfassende Prüfung der

Notwendigkeit einer Betreuung gerichtet war. Die Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 3) folgt demgemäß aus § 69g Abs. 1FGG.

In der Sache hält die landgerichtliche Entscheidung der rechtlichen Prüfung indes nicht stand. Das LG geht aufgrund der Vernehmung der Zeugen R und Dr. S davon aus, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers nicht vorliegen, weil die den Beteiligten zu 2) erteilte Vorsorgevollmacht wirksam sei, mithin die Voraussetzungen des § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB vorlägen. Bedenken gegen die Eignung der Beteiligten zu 2) und die Vollmachtausübung durch sie beständen nicht, weshalb auch kein Bedürfnis für die Einrichtung einer Kontrollbetreuung i.S.d. § 1896 Abs. 3 BGB bestehe. Dabei hat das LG die Hinzuziehung eines Sachverständigen und die Vernehmung der weiteren, von der Beschwerdeführerin benannten Zeugen für entbehrlich gehalten. Die von der Beteiligten zu 3) in das Wissen dieser Zeugen gestellten Tatsachen könnten als wahr unterstellt werden, ließen aber keinen Rückschluss auf eine mögliche Geschäftsunfähigkeit zu, da sie auch auf einer zeitweisen Alkoholisierung beruhen könnten. Zum anderen sprächen die Angaben der Zeugen R und Dr. E gerade gegen eine dauerhafte Störung der Geistestätigkeit. Auch dementielle Personen könnten lichte Momente haben. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen sei nicht Erfolg versprechend, da der Akteninhalt widersprüchlich sei. Schließlich sei die Geschäftsfähigkeit Erwachsener die Regel, so dass im Zweifel von Geschäftsfähigkeit auszugehen sei.

Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt der Kammer hinsichtlich der Regelung des § 1896 Abs. 2 BGB. Danach darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. Eine Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine vom Betroffenen erteilte Vorsorgevollmacht hindert die Bestellung eines Betreuers aber nur, wenn gegen die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung keine Bedenken bestehen (BGH FamRZ 2011, 285).

Soweit die Kammer im Weiteren unter Bezugnahme auf einen Beschluss des OLG München vom 4.11.2009 davon ausgeht, selbst wenn Zweifel bestünden, mache die Vollmacht alleine aufgrund ihrer tatsächlichen Akzeptanz eine Betreuung entbehrlich, ist dies als materiell-rechtlicher Grundsatz vor dem Hintergrund der neueren Entscheidungen des BGH (a.a.O. sowie Beschl. v. 13.4.2011 - XII ZB 584/10 - zitiert nach juris) rechtlich nicht (mehr) haltbar.

Eine Vorsorgevollmacht steht der Bestellung eines Betreuers weiter auch dann nicht entgegen, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründen. Dies ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint (BGH, a.a.O.).

Bei alledem entscheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Erm...

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