Leitsatz (amtlich)

Die Verweisung von einer Zivilkammer an eine Kammer für Handelssachen kann eine beklagte Partei nur dann beantragen, wenn in ihrem Rechtsverhältnis zur klagenden Partei eine Handelssache vorliegt. Liegt eine solche nur im Prozessrechtsverhältnis zwischen einer zweitbeklagten Partei und der klagenden Partei vor, kann die erstbeklagte Partei den Antrag - nach einem Beitritt als Streithelferin der erstbeklagten Partei - auch als Streithelferin jedenfalls solange nicht stellen, solange es an einer wirksamen Zustellung der Klage an die erstbeklagte Partei fehlt. Eine Verweisung von der Zivilkammer an die Kammer für Handelssachen kann in diesem Fall unwirksam sein.

 

Normenkette

GVG §§ 98, 101-102; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, §§ 66, 70

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 12 O 58/18)

 

Tenor

Zuständig ist die allgemeine Zivilkammer.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Ersatz eines Transportschadens in Anspruch. Nach dem Vortrag in der Klageschrift ist der Beklagte zu 1) von der Klägerin als Unterfrachtführer mit der Beförderung von Gütern von Deutschland nach Polen beauftragt worden. Der Beklagte zu 1) betreibt in L in Polen ein Transportunternehmen. Die Beklagten zu 2) ist eine Gesellschaft polnischen Rechts mit Sitz im polnischen L1, bei der der Beklagte zu 1) wegen Frachtschäden haftpflichtversichert gewesen sein soll.

1. Die Klägerin betreibt ein mittelständisches Transportunternehmen mit Sitz in H. Am 24.05.2016 beauftragte sie den Beklagten zu 1) damit, am folgenden Tag bei der S GmbH in N eine näher bezeichnete Anzahl von Kaffeeautomaten der N GmbH & Co. KG zu übernehmen und bei der polnischen Niederlassung der Fima B in C abzuliefern. Nach dem Vortrag der Klägerin kam es während des Transports in der Nacht vom XX.XX. auf den XX.XX.2016 auf dem N-Autohof M auf der Autobahn 2 im Landkreis T in M1 zu einem Ladungsdiebstahl, bei dem vier Paletten mit 44 Kaffeeautomaten gestohlen worden sind. Den Gesamtschaden beziffert die Klägerin auf 11.590,- EUR. Diesen Betrag zzgl. Prozesszinsen verlangt sie mit der Klage von den Beklagten als Gesamtschuldnern.

Gegen den Beklagten zu 1) bestehe ein Schadensersatzanspruch aus Art. 17 CMR i.V.m. dem Frachtvertrag. Er könne sich nicht auf eine Haftungsbeschränkung nach Art. 29 CMR berufen, da er die Geräte auf einem Auflieger transportiert habe, der zum Tatzeitpunkt nicht verschlossen gewesen und an einer nicht einsehbaren Stelle abgestellt worden sei, wo die Sendung dem Zugriff Dritter ausgesetzt gewesen sei. Dafür hafte auch die Beklagte zu 2), da nach dem polnischen Zivilgesetzbuch gegen sie als Haftpflichtversichererin des Schädigers ein Direktanspruch bestehe.

Die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bielefeld ergebe sich aus Art. 31 Abs. 1 Buchstabe b) CMR i.V.m. § 30 ZPO, da der Ort der Übernahme des Beförderungsguts sich in N befunden habe. Bezüglich der Beklagten zu 2) ergebe sich die Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 Buchstabe b) EuGVVO wegen des gegen sie begründeten Direktanspruchs aus dem Versicherungsvertrag.

Mit Verfügung vom 26.07.2017 hat die Einzelrichterin der 8. Zivilkammer die Auslandszustellung gegen internationalen Rückschein ohne Übersetzung verfügt (Bl. 20 d.A.). Die Zustellungen an die Beklagten sind daraufhin am 09.08. gegenüber der Beklagten zu 2) und am 10.08.2017 gegenüber dem Beklagten zu 1) erfolgt (Bl. 38 f. d.A.). Der Beklagte zu 1) hat die Annahme durch eine Erklärung vom 11.08.2017 mit der Begründung verweigert, dass er nur der polnischen Sprache hinreichend mächtig sei (Bl. 22b d.A.). Mit dieser Erklärung hat er dem Landgericht Bielefeld - dort eingehend am 16.08.2017 - die zuzustellenden Schriftstücke zurückgesandt. Dies hat die Einzelrichterin der Klägerin mit Verfügung vom 04.09.2017 zur weiteren Veranlassung binnen drei Wochen mitgeteilt (Bl. 26R d.A.), ohne dass darauf eine Reaktion erfolgt ist.

Die Beklagte zu 2) hat die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bielefeld gerügt (Bl. 27 ff. d.A.). Innerhalb der verlängerten Klageerwiderungsfrist ist sie den Rechtsstreit zudem "höchst vorsorglich" als Streithelferin auf Seiten des Beklagten zu 1) beigetreten (Bl. 56 ff. d.A.). Zugleich hat sie auf die funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen hingewiesen und sich damit einverstanden erklärt, dass die Verweisung an diese im schriftlichen Verfahren erfolge.

Mit Schriftsatz vom 24.05.2018 hat die Beklagte zu 2) unter Vorlage einer Ablichtung aus einem polnischen Handelsregister zur Kaufmannseigenschaft des Beklagten zu 1) vorgetragen und um Verweisung des Rechtsstreits an die Kammer für Handelssachen gebeten (Bl. 235 f. d.A.).

2. Die 8. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld hat sich daraufhin mit Beschluss vom 08.06.2018 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gem. § 281 ZPO an eine Kammer für Handelssachen verweisen (Bl. 244 f. d. A.).

Die 12. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld, an d...

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