Leitsatz (amtlich)

Der ausschließliche Gerichtsstand des § 32b I Nr. 2 ZPO greift nicht in Fällen, in denen zwar ausschließlich der nicht prospektverantwortliche Anlagevermittler in Anspruch genommen wird, aber auch ein Schadensersatzanspruch gegen einen Prospektverantwortlichen gemäß § 32b I Nr. 1 ZPO "in Betracht kommt", ohne dass er geltend gemacht wird. Eine Verweisung kann willkürlich und ohne Bindungswirkung sein, wenn sie auf einer Rechtsauffassung beruht, die vom Wortlaut der einschlägigen Zuständigkeitsnorm abweicht, und sich die Begründung der Rechtsauffassung in einem Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erschöpft, die die vertretene Rechtsauffassung nicht stützt.

 

Normenkette

ZPO §§ 32b, 36 Abs. 1 Nr. 6

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Aktenzeichen 6 O 369/16)

 

Tenor

Zuständig ist das LG Essen.

 

Gründe

I. Mit ihrer beim LG Essen erhobenen Klage macht die Klägerin Ansprüche wegen Pflichtverletzung im Rahmen einer Anlagevermittlung geltend, und zwar ausschließlich gegenüber dem Beklagten, der als freier Versicherungs- und Anlagenvermittler tätig gewesen sei. Zur Begründung trägt sie unter anderem vor, der Beklagte habe auf Grundlage von Kurzinformationen und eines Berechnungsbeispiels (Anlagen K2, K3, K4) bestimmte Anlagen empfohlen. Obwohl die Klägerin und ihr Mann, dessen Ansprüche sie aus abgetretenem Recht verfolgt, schon im ersten Gespräch erklärt hätten, für sie komme eine mit Risiken verbundene Anlage nicht in Betracht, seien Risiken vom Beklagten nicht angesprochen worden. Sie und ihr Mann seien den Anlagevorschlägen des Beklagten gefolgt. Zur Finanzierung hätten sie eine bestehende Lebensversicherung aufgelöst. Der Beklagte habe seine Pflichten als Anlagevermittler nicht erfüllt. Die empfohlene Geldanlage sei für sie nicht geeignet gewesen, insbesondere sei die Anlage mit einem zu hohen Risiko verbunden gewesen. Bei zutreffender Aufklärung hätten sie sich gegen die Zeichnung entschieden.

Bereits bei Zustellung der Klage hat das LG Essen darauf hingewiesen, dass das LG Dortmund zuständig sein dürfte: Da die Beratung auf Grundlage der Verkaufsprospekte K2 und K3 erfolgt sei, die von der Klägerin als irreführend betrachtet würden, gehe es ihr um Schadensersatzansprüche gem. § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO. In einer solchen Situation bestehe der ausschließliche Gerichtsstand des § 32b ZPO auch dann, wenn Anlagevermittler isoliert wegen Falschberatung in Anspruch genommen würden. Das Land Nordrhein-Westfalen habe derartige Streitigkeiten für Beklagte aus dem Oberlandesgerichtsbezirk Hamm beim LG Dortmund konzentriert.

Die Klägerin ist dieser Auffassung entgegengetreten. § 32b ZPO sei nicht anwendbar, wenn isoliert der Anlageberater verklagt werde. Einer Zuständigkeit des LG Dortmund stehe zudem entgegen, dass der Emittent ausweislich des Verkaufsprospekts (K9) seinen Sitz in P habe. Der Beklagte hat sich der Auffassung des LG Essen angeschlossen und die Zuständigkeit des LG Essen ausdrücklich gerügt. Zur Begründung führt er unter Hinweis auf Kommentarliteratur und Rechtsprechung aus, der Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 ZPO greife auch, wenn neben dem Anlagenvermittler zwar nicht der Emittent, der Anbieter oder die Zielgesellschaft, sondern ein Prospektverantwortlicher im Sinne des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO verklagt werde, und dass der ausschließliche Gerichtsstand gem. § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO unabhängig davon greife, ob zu den Beklagten auch Emittent, Anbieter oder Zielgesellschaft gehören. Die von ihm wörtlich zitierten Kommentarstellen enthalten auch die Passage "Auch nach der Neufassung wird die Zuständigkeit durch die Norm nicht begründet, wenn mit der Klage ausschließlich Anlageberater, Anlagevermittler oder sonstige Personen wegen der in § 32b Abs. 1 Nr. 2 aufgeführten Handlungen in Anspruch genommen werden." (S. 4 der Klageerwiderung unter Berufung auf Saenger-Bendtsen, ZPO, 6. Auflage 2015, § 32b Rn. 3).

Nachdem das LG Essen mitgeteilt hatte, dass die Bedenken hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit fortbeständen, hat die Klägerin beantragt, den Rechtsstreit an das LG Dortmund zu verweisen. Mit Beschluss vom 07.10.2016 hat sich das LG Essen für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Dortmund verwiesen.

In einem Vermerk vom 25.10.2016 hat das LG Dortmund ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 32b ZPO offenkundig nicht vorlägen, und hat die Sache dem LG Essen zur erneuten Übernahme des Rechtsstreits übersandt. Mit Beschluss vom 04.11.2016 hat das LG Essen die Wiederübernahme des Rechtsstreits abgelehnt. Daraufhin hat das LG Dortmund sich ebenfalls für unzuständig erklärt, die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Auf einen Hinweis des Senats, dass vieles dafür spreche, dass die Rechtsauffassung des LG Essen unzutreffend sei, hat der Beklagte ausgeführt, dass Anhaltspunkte für eine willkürliche Entscheidung des LG Essen nicht ersichtlich seien. Die Klägerin hat im Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung keine Stellungnahme abg...

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