Leitsatz (amtlich)

Als allgemein bekanntes Risiko einer größeren Operation muss auf die Möglichkeit, daran unter ungünstigen Umständen versterben zu können, nicht ohne weiteres hingewiesen werden

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Urteil vom 17.03.2010; Aktenzeichen 10 O 96/07)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 17.3.2010 verkündete Urteil des LG Wiesbaden (Az.: 10 O 96/07) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 6.228,67 EUR.

 

Gründe

I. Der Beklagte ist niedergelassener Orthopäde und Belegarzt im A -Krankenhaus in Stadt1. Er behandelte im Herbst 2005 die Mutter der Klägerin, Frau P (im Folgenden: Patientin), wegen einer sog. Coxarthrose und empfahl ihr, eine Hüfttotalendoprothese in das linke Hüftgelenk einzubringen. Die Klägerin ist eine der beiden Töchter der Frau P.

Am 25.8.2005 führte der Beklagte mit der Patientin ein dokumentiertes Aufklärungsgespräch, in dem u.a. das Thrombose-/Embolierisiko sowie das Risiko von Blutungen und Gefäßverletzungen angesprochen wurde.

Am 22.9.2005 fand die Hüft-TEP-Operation unter Spinalanästhesie statt. Dabei kam es zu einer Verletzung der linken Beckenschlagader, was zu einer inneren Blutung und zum Tod der Patientin noch auf dem Operationstisch führte. Ausweislich der Dokumentation im Narkoseprotokoll (Bl. 212 d.A.) ereignete sich folgendes:

Narkosebeginn war 08.01 Uhr, als Operationsbeginn ist 08.35 Uhr dokumentiert. Gegen 08.40/08.45 Uhr kam es zu einem Blutdruckabfall von 120mm/Hg auf 90mm/Hg, der durch die Anästhesistin Dr. B mit einem gefäßverengendem Medikament (Akrinor) behandelt wurde. Der Blutdruck stieg gegen 08.50 Uhr auf 110mm/Hg an. Gegen 09.10 Uhr kam es zu einem massiven Blutdruckabfall und einem Zusammenbruch des Kreislaufs. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte bereits mit dem Einbringen von Reddondrainagen und dem Verschluss des Operationsgebietes beschäftigt. Es wurden Reanimationsmaßnahmen eingeleitet. Diese blieben erfolglos und wurden um 09.50 Uhr eingestellt (Bl. 215 d.A.). Die Patientin verstarb um 10.15 Uhr als Folge eines Volumenmangelschocks bei retroperitonealer Einblutung ins kleine Becken.

Die Klägerin hat ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen den Beklagten angestrengt, in dessen Rahmen Gutachten des Gerichtsmediziners Prof. Dr. C und des Chirurgen Prof. Dr. D eingeholt worden sind (Az.: 4410 Js 31856/06 TE). Das Verfahren ist von der Staatsanwaltschaft Wiesbaden gem. § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie sei gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrem Vater gesetzliche Erbin der Patientin. Sie hat Schadensersatz wegen der Beerdigungskosten und der Haushaltsauflösung verlangt. Die Klägerin hat dem Beklagten vorgeworfen, die Patientin nicht hinreichend auf die mit der Operation verbundenen Risiken, insbesondere das letale Risiko hingewiesen zu haben. Er habe sorgfaltswidrig die intraoperative Blutung verursacht und nicht hinreichend auf den Blutdruckabfall reagiert.

Das LG hat in Ergänzung zu den bereits im Ermittlungsverfahren eingeholten Gutachten zwei chirurgische Ergänzungsgutachten von Herrn Prof. Dr. D eingeholt. Prof. Dr. D hat seine Gutachten mündlich erläutert. Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe die Patientin hinreichend über die Operationsrisiken aufgeklärt, weil u.a. über mögliche Gefäßverletzungen und Blutungen gesprochen worden sei. Die Klägerin habe nicht beweisen können, dass der Beklagte sorgfaltswidrig vorgegangen wäre. Der Sachverständige Prof. Dr. D habe nicht zweifelsfrei feststellen können, warum es zu der Verletzung der inneren Oberschenkelschlagader gekommen sei. Es lasse sich nicht ausschließen, dass sich auf Grund der schwierigen Präparation der Gelenkkapsel ein dieser Operation immanentes Risiko verwirklicht habe. Da die Blutung äußerlich nicht erkennbar gewesen sei und da der Blutdruckabfall zunächst nicht mit einem Anstieg der Herzfrequenz einhergegangen sei, habe der Beklagte diese Komplikation nicht früher erkennen können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 275 ff. d.A.) verwiesen.

Die Klägerin hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Sie rügt, dass der Rechtsstreit nicht durch eine Kammer, sondern durch einen Einzelrichter des LG entschieden worden sei. Die hier erteilte Grundaufklärung über die mit jeder Operation typischerweise verbundenen Risiken von Gefäßverletzungen erfasse nicht die Kenntnis einer lebensgefährdenden Verletzung der Oberschenkelschlagader. Das Gutachten von Prof. Dr. D sei nicht überzeugend, denn er habe sich nicht ausreichend mit der Frage beschäftigt, ob ein zu schnelles Vorgehen und ein zu großzügiges Greifen und Vorziehen der Gelenkkapsel zu der Gefäßverletzung geführt habe. Zur Frage des "Risikomanagemen...

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