Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungsfrist bei Vertriebsverträge zwischen Kfz-Herstellern

 

Leitsatz (amtlich)

Vertriebsverträge zwischen Kfz-Herstellern bzw. -lieferanten und Vertragshändlern können regelmäßig nur mit 2-jähriger Kündigungsfrist beendet werden. Eine 1-jährige Frist gilt ausnahmsweise, wenn sich die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz umzustrukturieren. Rechtsgrundlage für eine solche Strukturkündigung ist die EG-Gruppenfreistellungsverordnung (GVO 1400/2002).

 

Normenkette

GVO 1400/2002 EG § 3; HGB § 89

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 3-4 O 156/06)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 24.06.2009; Aktenzeichen VIII ZR 150/08)

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung eines Vertragshändlervertrages zum 31.1.2007 sowie um eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten aus Anlass dieser Kündigung.

Die Klägerin war seit 1977 als A-Vertragshändlerin tätig. Die Streithelferin importiert A-Fahrzeuge nach Deutschland. Sie ist mit der Beklagten als sog. Primärhändlerin durch einen Vertragshändlervertrag verbunden. Die Beklagte hat mit verschiedenen Sekundärhändlern, darunter auch mit der Klägerin, Vertragshändlerverträge geschlossen. Mit Schreiben vom 20.1.2006 (Bl. 48 d.A.) kündigte die Beklagte "im Zuge der Neustrukturierung des A-Vertriebsnetzes" den Vertrag mit der Klägerin binnen Jahresfrist. Mit Schreiben der Streithelferin vom 11.1.2006 informierte diese die Klägerin darüber, dass das bisherige zweistufige Händlernetz aufgelöst und durch ein einstufiges Netz ersetzt werde. Eine Einbindung der Klägerin in das neue Netz sei nicht vorgesehen (Bl. 49 f. d.A.).

Wegen des übrigen unstreitigen Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil (Bl. 296 ff. d.A.) Bezug genommen.

Das LG hat mit dem angefochtenen Urteil vom 2.5.2007 festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr aus der von der Beklagten mit Schreiben vom 20.1.2006 ausgesprochenen Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Vertragshändlervertrages vom 29.4./3.5.2004 bis zum 31.1.2008 entstehen wird.

Die Entscheidung ist im Wesentlichen damit begründet, dass die Beklagte die Voraussetzungen für eine einjährige befristete Kündigung, wie sie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in seinem Urt. v. 7.9.2006 - C 125/05 (GRUR Int. 2007, 226) - formuliert hat, nicht dargetan habe. Die Kündigung sei darum erst am 31.1.2008 wirksam geworden. Wegen der weitergehenden Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Hiergegen richten sich die Berufungen der Beklagten und der Streithelferin, zu deren Begründung sie vortragen:

Das LG habe die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast überspannt, indem es - entgegen den Vorgaben des EuGH - ihre, der Beklagten und ihrer Streithelferin, wirtschaftlichen und geschäftlichen Erwägungen nachgeprüft habe. Zudem habe es Beweisangebote in verfahrensrechtlich nicht vertretbarer Weise für ungeeignet gehalten. Sie, die Beklagte und ihre Streithelferin hätten plausible Gründe für die Umstrukturierung ihres Vertriebsnetzes und die Notwendigkeit von deren Durchführung innerhalb eines Jahres vorgetragen und unter Beweis gestellt. Ohne die Umstellung hätten der Streithelferin Verluste i.H.v. 39 Mio. EUR gedroht. Selbst wenn die Kündigung vom 20.1.2006 nicht gerechtfertigt gewesen wäre, so tragen die Beklagte und ihre Streithelferin weiter vor, sei sie, die Beklagte, der Klägerin nicht zum Schadensersatz verpflichtet, da sie sich dann in einem unverschuldeten Irrtum befunden habe. Die Entscheidung des EuGH, in der dieser plausible Gründe für eine Strukturkündigung nach Art. 5 Abs. 3 GVO 1475/1995 EG gefordert habe, habe beim Ausspruch der Kündigung noch nicht vorgelegen. Sie - die Beklagte - habe sich darum auf die gegenteilige Ansicht der EU-Kommission verlassen dürfen, die die Auffassung vertreten habe, die Notwendigkeit einer Umstrukturierung seines Vertriebsnetzes sei allein vom Lieferanten frei zu beurteilen.

Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen, das Urteil des LG Frankfurt/M. vom 2.5.2007 - Az.: 3/4 O 156/06 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, sowie zu ihrer eigenen Berufung in Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie ist der Auffassung, Art ... des Händlervertrages sei unwirksam und damit nicht geeignet, die Kündigung binnen Jahresfrist zu rechtfertigen. Zudem verstoße die Kündigung gegen den entsprechend anwendbaren § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB. Des Weiteren setze auch die Kündigung binnen Jahresfrist nach Art ... des Händlervertrages eine ausführliche Begründung voraus, an der es hier fehle. Schließlich seien, wie die Klägerin im Einzelnen aus...

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