Leitsatz (amtlich)

1. Einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament mit wechselbezüglicher Schlusserbeneinsetzung der Abkömmlinge kann ohne weitere Anhaltspunkte regelmäßig nicht allein im Wege der ergänzenden Auslegung entnommen werden, dass dem überlebenden Ehegatten trotz grundsätzlich bindend gewordener Einsetzung des Abkömmlings als Vollerbe die zur Einrichtung eines sogenannten Behindertentestaments erforderlichen Eingriffe (Bestellung eines Testamentsvollstreckers und Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft) in die Rechtsstellung des Schlusserben gestattet sein sollen.

2. Zur Auslegung der Klausel eines gemeinschaftlichen Ehegattentestaments, wonach Teile des Immobilienvermögens eines der Ehegatten nicht von dem Testament umfasst sein sollen.

 

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Stadt1 vom 24.03.2023 (Zurückweisung des Antrags der Beteiligten zu 1) auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses) wird zurückgewiesen.

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss vom 24.03.2023 auf Erteilung des von dem Beteiligten zu 2) am 12.10.2022 beantragten Erbscheins abgeändert und der Antrag zurückgewiesen.

Von einer Erhebung der im Beschwerdeverfahren erwachsenen Gerichtskosten wird abgesehen. Eine Erstattung im Beschwerdeverfahren entstandener außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die seit dem XX.XX.1982 verwitwete Erblasserin ist am XX.XX.2022 mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Stadt2 verstorben. Bei der Beteiligten zu 1) und dem wegen einer Behinderung unter gesetzlicher Betreuung stehenden Beteiligten zu 2) handelt es sich um die einzigen Abkömmlinge der Eheleute.

Folgende letztwillige Verfügungen der Erblasserin liegen vor:

Gemeinschaftliches, von ihrem Ehemann geschriebenes und von der Erblasserin mitunterzeichnetes handschriftliches Testament vom 08.01.1974 (Bl. 7 ff. der Testamentsakte). Die Eheleute setzten sich darin zu Alleinerben mit der Maßgabe ein, "dass der Überlebende von uns unbeschränkt und frei über das gemeinsame Vermögen verfügen darf". Insbesondere sollte dies für die im gemeinschaftlichen Eigentum beider Eheleute stehende Immobilie A-Straße 3 in Stadt1 gelten.

Unter II. ordneten die Eheleute an, dass der Überlebende "verpflichtet" sein sollte, den gesamten Nachlass an die Beteiligten zu 1) und 2) als die gemeinsamen Kinder der Eheleute "weiterzuvererben", wobei diese "Verpflichtung zur Weitervererbung" jedoch die "Verfügungsfreiheit" des Überlebenden über den Nachlass "nicht berühren" sollte. Unter Ziffer III sah das gemeinschaftliche Testament eine Verpflichtung des überlebenden Ehegatten vor, im Falle seiner Wiederverheiratung Gütertrennung zu vereinbaren, damit zugunsten der Beteiligten zu 1) und 2) "keine Vermischung des Vermögens des überlebenden Ehegatten mit dem Vermögen des anderen eintritt". Ferner wurde dort eine Einigkeit der testierenden Ehegatten über den Umstand festgehalten, dass die Erblasserin von ihren Eltern die Eigentumswohnungen A-Straße 2 und B-Straße 1 in Stadt1 ererbt habe. Sodann heißt es "Diese Eigentumswohnungen fallen nicht unter dieses Testament".

Unter IV trafen die Eheleute für den Fall, dass eines ihrer Kinder das Testament "nicht anerkennen" sollte, "als daß der Pflichtteil geltend gemacht wird", eine Regelung, wonach der überlebende Ehegatte "weder rechtlich noch moralisch verpflichtet" sein sollte, "auch nur einen Teil des Nachlasses auf das Kind oder dessen Kinder zu übertragen". Die "Verpflichtung zur Übertragung des Nachlasses" bestehe für diesen Fall nur zugunsten des Kindes, welches den Pflichtteil nicht geltend gemacht habe.

Der Ehemann der Erblasserin ist am XX.XX.1982 vorverstorben.

Unter dem 14.05.2002 errichtete die Erblasserin sodann einen eigenhändigen Nachtrag zu dem gemeinschaftlichen Testament vom 08.01.1974, mit dem sie als "zusätzliche Erben" ihre beiden Enkelkinder Vorname1 und Vorname2 Nachname1 einsetzte.

Mit eigenhändigem Testament vom 20.06.2005 widerrief die Erblasserin diesen Nachtrag sodann und beschwerte die Beteiligten zu 1) und 2) als ihre "Erben" mit Vermächtnissen zugunsten beider Enkelkinder.

Zuletzt errichtete die Erblasserin unter dem 01.07.2015 ein notarielles Testament (UR .../2015 des Notars C, Stadt3), wonach sie durch das gemeinschaftliche Testament vom 08.06.1974 nicht in ihrer Befugnis zu Verfügungen von Todes wegen beschränkt worden sei (Ziffer I). Alle etwaigen früheren Testamente wurden von ihr widerrufen (Ziffer II § 1). Als ihren Erben berief sie nunmehr (Ziffer II § 2) die Beteiligten zu 1) und 2) mit der Maßgabe, dass der von ihr in diesem Zusammenhang als ihr "behinderter Sohn" angesprochene Beteiligte zu 2) zum befreiten Vorerben und seine Abkömmlinge (Enkelkinder der Erblasserin) Vorname1 und Vorname2 Nachname1 für den Fall seines Todes zu Nacherben bestimmt werden. Zugleich ordnete die Erblasserin (Ziffer II § 5) eine Dauertestamentsvollstreckung über den Erbteil des Beteil...

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