Leitsatz (amtlich)

Zum Anwendungsbereich des § 102 EnWG im Hinblick auf die Zuständigkeit der Gerichte.

 

Normenkette

EnWG § 102; ZPO §§ 36, 281

 

Gründe

Mit ihrer beim AG Friedberg (Hessen) erhobenen Klage erstrebt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Gestattung des Zutritts eines Beauftragten des Netzbetreibers zu dem Anwesen der Beklagten in O1,... Straße ..., und Duldung der Einstellung der Stromversorgung dieses Anwesens unter Wegnahme der installierten Messeinrichtung. Nach Zustellung der Klage und Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens erteilte das AG Friedberg (Hessen) mit Schreiben vom 4.2.2008 den Parteien den Hinweis: "Das Gericht verweist auf § 102 EnWG.", worauf die Klägerin beantragte, den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen bei dem LG in Gießen zu verweisen. Durch Beschluss vom 8.2.2008 erklärte sich das AG Friedberg (Hessen) für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das LG Gießen - Kammer für Handelssachen -. Zur Begründung führte es aus, dass das angerufene Gericht sachlich unzuständig sei, weil eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit aus dem Bereich des Energiewirtschaftsrechts vorliege, § 102 EnWG. Mit Beschluss vom 14.2.2008 erklärte sich das LG Gießen - 2. Kammer für Handelssachen - ebenfalls für (sachlich) unzuständig und hat dem Senat die Sache zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung führt das LG aus, dass keine bürgerliche Rechtsstreitigkeit vorliege, die sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz ergebe oder deren Entscheidung ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhänge, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu treffen sei. Vielmehr handele es sich um eine Streitigkeit, die sich ausschließlich aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Energielieferungsvertrag ergebe. Der Verweisungsbeschluss des AG Friedberg sei nicht bindend, da er ohne rechtliches Gehör des Beklagten ergangen sei.

Auf die zulässige Vorlage ist das AG Friedberg (Hessen) gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als das zuständige Gericht zu bestimmen.

Das AG Friedberg (Hessen) ist gem. § 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig, da eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit einem unter 5.000 EUR liegenden Streitwert gegeben ist, für die keine besondere Zuständigkeitsregelung gilt. Die Klägerin hat den Streitwert in der Klageschrift vorläufig mit 1.140 EUR angegeben. Anhaltspunkte dafür, dass der Streitwert höher anzusetzen wäre, sind nicht erkennbar.

§ 102 EnWG, demzufolge für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz ergeben oder deren Entscheidung ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu treffen ist, ausschließlich die LG zuständig sind, greift nicht ein.

Das Energiewirtschaftsgesetz soll seinem gesetzlichen Zweck entsprechend (§ 1 EnWG) eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leistungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas sicherstellen, die Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze regeln und das europäische Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet der leitungsgebundenen Energieversorgung umsetzen und durchführen. Dieses Gesetz gibt dem Haushaltskunden einen Anspruch auf Grundversorgung, regelt also im Sinne eines Kontrahierungszwangs das "Ob" des Abschlusses eines Versorgungsvertrages, nicht aber die Einzelheiten der Ausgestaltung des Individualvertrages über die Energielieferung und die Folgen der Nichterfüllung von Pflichten aus diesem Individualvertrag (vgl. LG Kassel NJW-RR 2007, 1651 und OLG Köln RdE 2008, 58).

Durch den Verweisungsbeschluss des AG Friedberg (Hessen) vom 8.2.2008 ist nicht das LG Gießen zuständig geworden, weil dieser Beschluss für das aufnehmende Gericht nicht bindend ist. Zwar haben Verweisungsbeschlüsse gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO grundsätzlich Bindungswirkung. Diese setzt sich im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren fort und kommt auch fehlerhaften Verweisungsbeschlüssen zu, denn sie soll gewährleisten, dass Streitigkeiten über die Zuständigkeit der Gerichte vermieden bzw. bald beendet werden und dass es möglichst rasch zu einer Sachentscheidung kommt. Die Bindungswirkung entfällt jedoch, wenn die Verweisung auf der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs der Parteien beruht oder einer rechtlichen Grundlage entbehrt und sich daher als objektiv willkürlich erweist.

Der Verweisungsbeschluss vom 8.2.2008 erging ohne rechtliches Gehör der Beklagten. Das AG Friedberg (Hessen) beschloss die Verweisung am 8.2.2008, also einen Tag nach Eingang des Verweisungsantrages. Zu diesem Zeitpunkt war eine angemessene Frist zur Stellungnahme der Parteien auf den Hinweis vom 4.2.2008 (Bl. 33 d.A.) noch nicht abgelaufen. Abgesehen davon kann dieser Hinweis nicht als ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs angesehen werden, weil er aus nicht mehr als der Bezeichnung einer eher wenig bekannten Gesetzesvorschrift besteht, die den nicht anwaltlich vertretenen Beklagten nicht geläufig sein dürfte, weswegen sich den Beklagten der Sinn dieses Hi...

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