Entscheidungsstichwort (Thema)

Irrtum über Person des Nächstberufenen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Grundsätzlich handelt es sich bei dem Irrtum über die Person, welcher anstelle des die Erbschaft Ausschlagenden dessen Erbteil zufällt, um einen unbeachtlichen Irrtum über mittelbare Rechtsfolgen der Ausschlagung.

2. Nimmt der Ausschlagende aber irrig an, dass mit der Ausschlagung der eigene Erbteil nur dem aufgrund gesetzlicher Erbfolge mitberufenen Miterben anfallen könne, irrt er bereits über eine unmittelbare Rechtsfolge der Ausschlagung nach § 1953 Abs. 2 BGB, so dass ein erheblicher Rechtsfolgenirrtum vorliegt, welcher zur Anfechtung aus dem Grund des § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB berechtigt.

 

Normenkette

BGB §§ 1942, 1953-1954, 119 Abs. 1 Alt. 1

 

Verfahrensgang

AG Langen (Beschluss vom 10.07.2016; Aktenzeichen 4 VI 30/16)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert:

Die zur Erteilung des von den Beteiligten zu 1) und 2) mit Urkunde UR-Nr.../2016 des Notars A in Stadt1 beantragten Erbscheins, welcher die Beteiligten zu 1) und 2) zu jeweils ½ als Miterben des Erblassers ausweist, erforderlichen Tatsachen werden für festgestellt erachtet.

Die Erteilung des Erbscheins bleibt dem Nachlassgericht vorbehalten.

 

Gründe

I. Der am ... 1961 geborene Erblasser verstarb am ... 2015. Er war verheiratet mit der Beteiligten zu 1). Für die Ehe galt der gesetzliche Güterstand. Aus der Ehe ist der Beteiligte zu 2) als einziges Kind hervorgegangen. Der Beteiligte zu 2) erklärte mit bei dem Nachlassgericht am 13.01.2016 eingegangener von dem Vorsteher des Ortsgerichts unterschriftsbeglaubigter schriftlicher Erklärung vom 08.01.2016 (Bl. 3 d.A.) die Ausschlagung der Erbschaft nach dem Erblasser. Gründe für die Ausschlagung gab er nicht an. Wegen der Einzelheiten der Ausschlagungserklärung wird auf diese Bezug genommen. Mit Schreiben vom 16.01.2016 (Bl. 4 d.A.) gab die Rechtspflegerin des Nachlassgerichts dem Beteiligten zu 2) auf, mitzuteilen, ob er Kinder habe. Mit notariell unterschriftsbeglaubigter Anfechtungserklärung vom 29.01.2016 (Bl. 6 f. d.A.) eingegangen beim Nachlassgericht am 01.02.2016 erklärte der Beteiligte zu 1) daraufhin die Anfechtung seiner Ausschlagungserklärung vom 08.01.2016 wegen Irrtums. Er führte aus, er sei davon ausgegangen, durch die Ausschlagung falle der gesamte Nachlass seiner Mutter, der Beteiligten zu 1), allein zu. Wegen der Einzelheiten der Anfechtungserklärung wird auf diese Bezug genommen.

Mit öffentlicher Urkunde vom 29.01.2016 (Bl. 10 ff. d.A.) haben die Beteiligten zu 1) und 2) die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, welcher sie zu jeweils ½ als Erben des Erblassers ausweisen soll. Sie gehen davon aus, dass der Beteiligte zu 2) die Ausschlagung der Erbschaft wirksam angefochten habe und sie daher gesetzliche Erben des Erblassers geworden seien. Wegen der Einzelheiten des Antrags wird auf diesen Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 08.02.2016 (Bl. 16 m. Rs. d.A.) hat die Rechtspflegerin des Nachlassgerichts die Mutter und den Bruder des Erblassers als gesetzliche Erben zweiter Ordnung über die Ausschlagung der Erbschaft durch den Beteiligten zu 2) und die Anfechtung der Ausschlagungserklärung informiert. Diese erklärten mit gleichlautenden Schreiben vom 16.02.2016 (Bl. 18 und Bl. 20 d.A.), dass sie von der Wirksamkeit der Anfechtung durch den Beteiligten zu 2) ausgingen, und stimmten der Erteilung des beantragten Erbscheins zu.

Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 17.03.2016 (Bl. 22 d.A.) führten die Beteiligten aus, ein zur Anfechtung der Ausschlagungserklärung berechtigender Inhaltsirrtum sei auch dann anzunehmen, wenn der gesetzlich berufene Erbe glaube, mit der Ausschlagung die Übertragung an eine bestimmte Person vorzunehmen, was vorliegend der Fall sei.

Mit Beschluss vom 10.06.2016 (Bl. 25 m. Rs. d.A.) hat die Rechtspflegerin des Nachlassgerichts den Erbscheinsantrag der Beteiligten zurückgewiesen. Sie hat ausgeführt, die irrige Erwartung des Ausschlagenden, die Erbschaft werde einem bestimmten Dritten - hier der Ehefrau des Erblassers - zufallen, betreffe die fehlerhafte Vorstellung über die kraft Gesetzes nächstberufene Person und stelle einen unbeachtlichen Motivirrtum dar. Der Ausschlagende irre nämlich nicht über eine unmittelbare Rechtsfolge seiner Erklärung, sondern über eine durch das Gesetz an die Ausschlagung geknüpfte weitere Folge. In solchen Fällen lehne die Rechtsprechung grundsätzlich eine Anfechtung ab. Der Beteiligte zu 2) sei demnach nicht Miterbe geworden, die Beteiligte zu 1) Miterbin mit einem Bruchteil von ¾. Der beantragte Erbschein sei daher nicht zu erteilen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den genannten Beschluss Bezug genommen.

Gegen den vorgenannten Beschluss, der den Beteiligten persönlich am 14.06.2016 bzw. 16.06.2016 (Bl. 29 und 30 d.A.) sowie ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 20.06.2016 (Bl. 31 d.A.) zugestellt worden ist, haben die Beteiligten mit am 07.07.2016 beim Nachlassgericht eingegangenem Schriftsatz ihres Verfahrensbe...

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