Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage der Bemessung des Schmerzensgeldes (hier: 70.000 Euro einschl. aufgelaufener Rentenbeträge sowie 200 Euro monatliche Rente ab der Verkündung der Senatsentscheidung) für die Folgen einer durch eine Zangengeburt eingetretenen Hirnverletzung, die – neben zurückgebildeten körperlichen Beeinträchtigungen – zu einer voraussichtlich lebenslang andauernden geistigen Behinderung im Sinne einer Intelligenzschwäche geführt hat.

2. Bei der Bemessung der wegen der Behinderung des Geschädigten nach § 843 BGB zu erstattenden Pflegeleistungen kann es aufgrund eines unterschiedlich anfallenden Pflegebedarfs angemessen sein, eine pauschale Schätzung.

 

Verfahrensgang

LG Duisburg (Aktenzeichen 2 O 279/95)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels i.Ü. das am 14.6.2000 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Duisburg teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 70.000 Euro (als Schmerzensgeld) nebst 4 % Zinsen seit dem 12.9.1995, sowie ab dem 1.12.2002 (als Schmerzensgeldrente) monatlich 200 Euro zu zahlen.

Die Beklagten werden ferner verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 113.956,73 Euro (an personellem und sachlichem Mehraufwand) nebst 4 % Zinsen von 43.224,62 Euro seit dem 12.9.1995, sowie ab dem 1.12.2002 monatlich 715,81 Euro (als Betreuungs- und Pflegeaufwand) zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger allen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm in Zukunft als Folge der bei seiner Geburt am 2.6.1991 erlittenen Schädelverletzung sowie deren unzureichender Behandlung noch entstehen wird, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Von den Kosten des Rechtsstreites in beiden Rechtszügen haben die Beklagten als Gesamtschuldner 4/5 und der Kläger 1/5 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten gleichfalls i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

 

Tatbestand

Bei der damals 29-jährigen Mutter des jetzt 11 Jahre alten Klägers wurde im Oktober 1990 die zweite Schwangerschaft festgestellt. Die Entbindung war auf den 22.5.1991 errechnet. Wegen leichter Schmierblutungen suchte sie am Nachmittag des 1.6.1991 – gegen 16.00 Uhr – die seinerzeit von dem Beklagten zu 2) geleitete gynäkologische Ambulanz des unter Trägerschaft der Beklagten zu 1) stehenden St. V. Hospitals in D. auf. Sowohl die vaginale Untersuchung als auch das angelegte CTG, das alle 6 bis 8 Minuten leichte Kontraktionen zeigte, ergaben keine auffälligen Befunde. Der Muttermund wurde als zweifingerdick, dickwulstig und sacral beschrieben; der kindliche Kopf lag gut beweglich über dem Beckeneingang, die Fruchtblase war intakt. Die Patientin wurde auf ihren Wunsch nochmals nach Hause entlassen. Um 19.45 Uhr stellte sie sich mit nunmehr kräftigen Wehen erneut vor. Der Muttermund war nunmehr gut 3 cm weit geöffnet. Um 20.25 Uhr erfolgte eine erste Untersuchung durch den Beklagten zu 2), der um 20.55 Uhr einen bis auf einen breiten Saum vollständig eröffneten Muttermund und einen im queren Durchmesser im Becken liegenden Kopf beschrieb. Nach Anlegung einer Kopfschwartenelektrode (21.04 Uhr) wurde um 21.25 Uhr zur Anregung der Wehentätigkeit eine Infusion mit 6 Einheiten Syntocinon gelegt. Um 21.41 Uhr war der Muttermund bis auf einen breiten, mitteldicken Saum vollständig, der Kopf des Klägers war etwas tiefer getreten, befand sich aber noch oberhalb der Beckenmitte. Um 22.40 Uhr übernahm die Zeugin H. als Hebamme die Betreuung der Patientin; der Beklagte zu 2) selbst verließ, nachdem er um 22.15 Uhr einen unveränderten Zustand festgestellt und die Gabe von „Buscopan” und „Monzal” verordnet hatte, das Krankenhaus. Wegen starker Schmerzen der Patientin wurde um 23.15 Uhr eine Periduralanästhesie eingeleitet. Nachdem sie um 23.30 Uhr in den Kreißsaal verlegt worden war, zeigte sich ein pathologisches CTG (Dip II) bei einem 8 cm weiten Muttermund und einen hoch im Becken stehenden Kopf. Die Zeugin H. informierte den bei sich zu Hause befindlichen Beklagten zu 2) (23.40 Uhr), der die Vorbereitung zu einer Sectio anordnete und selbst um 23.50 Uhr im Kreißsaal eintraf, wo er die Patientin untersuchte. In der Dokumentation findet sich hierzu folgender Eintrag:

„MM nunmehr bis auf einem Saum vollständig. Der Kopf steht unterhalb d. BM. Große Geburtsgeschwulst. Der MM-Saum lässt sich nicht ganz zurückschieben.”

Der Beklagte zu 2) entschloss sich zu einer Zangengeburt (Forceps). Nach lateraler Episiotomie wurde der Kläger nach fünf Traktion...

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