Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer unzureichenden Aufklärung über Behandlungsalternativen trägt der Patient die Beweislast dafür, dass er bei pflichtgemäßer Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte und der mit dem tatsächlich durchgeführte Eingriff verbundene Schaden verhindert worden wäre.

2. Eine Beweislastumkehr im Hinblick auf den Kausalverlauf kommt auch bei einer "groben" Verletzung der Aufklärungspflicht nicht in Betracht, ein "grober Aufklärungsfehler" ist nicht anzuerkennen.

 

Verfahrensgang

LG Görlitz (Aktenzeichen 5 O 142/20)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25.07.2023 wird aufgehoben.

4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert auf bis zu 55.000,00 EUR festzusetzen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Schmerzensgeld, Schadensersatz sowie Feststellung der Einstandspflicht für immaterielle und materielle Zukunftsschäden wegen einer behaupteten fehlerhaften hausärztlichen Behandlung.

Der 1958 geborene Kläger litt an zahlreichen Vorerkrankungen (u.a. dekompensierte Herzinsuffizienz mit Ruhedyspnoe sowie Anasarka und Unterschenkelödemen beidseits bei schwer eingeschränkter linksventrikulärer Herzfunktion, gastrointestinaler Blutung bei Refluxösophagitis (Stadium 4, Magenatonie), hochgradiger pulmonaler Hypertonie, Adipositas per magna, arterielle Hypertonie, Alkoholabhängigkeit, Diabetes mellitus Typ 2 (ohne Medikation), chronische Niereninsuffizienz Stadium 3, (GFR 44 ml/min/1,73), Psoriasis vulgaris, Ulcera crura beidseits, transmetartasale Vorfußamputation). Nachdem der Kläger über mehrere Monate hinweg keinen Arztkontakt hatte, wurde er wegen progredienter Dyspnoe im August 2018 stationär aufgenommen. Die poststationäre Betreuung übernahm die Beklagte. Unter Fortführung der internistisch empfohlenen Medikation und im Zusammenhang mit auftretenden Schmerzen wegen infolge zunehmender Versteifung beider Kniegelenke erforderlicher Physiotherapie, verordnete sie Ibuprofen vom 16.10.2015 fortlaufend bis zum 29.03.2016. Im Behandlungszeitraum erfolgten regelmäßige Wundvisiten wegen Wunden an beiden Unterschenkeln sowie Fersen, im Sakralbereich und im Bereich der Großzehe. Unter dem 13.10.2015 ist im Wundbericht vermerkt: "Dekubitus im Sakralbereich ist abgeheilt". Zur Kontrolle der Nierenfunktion bei bekannter Niereninsuffizienz wurden am 21.11.2015 auf der Notfallaufnahme des Krankenhauses Bautzen und am 26.01.2016 durch die Beklagte Blutuntersuchungen durchgeführt.

Vom 29.03.2016 bis zum 14.04.2016 befand sich der Kläger erneut in stationärer Behandlung mit den Diagnosen akut-auf-chronisches Nierenversagen prärenaler Genese und unter NSAR-Therapie, Stadium 5 mit Hyperkaliämie unter Aldactone und akuter Diarrhoe (Adenovirus).

Am 03.05.2016 wurde der Kläger erneut wegen eines Dekubitus vierten Grades im Sakralbereich sowie Fersennekrosen stationär aufgenommen und bis zum 23.05.2016 behandelt.

Mit dem Vorwurf, die Verschreibung von Ibuprofen sei angesichts der vorbestehenden Niereninsuffizienz und weiterer Erkrankungen kontraindiziert, zumindest grob behandlungsfehlerhaft gewesen und die Beklagte habe ihn über die Risiken der Dauermedikation mit Ibuprofen für die Nierenfunktion nicht ausreichend aufgeklärt, begründet der Kläger seinen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von mindestens 50.000,00 EUR.

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines pharmakologischen und eines allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens sowie der Anhörung der Beklagten zur Aufklärung abgewiesen. Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Berufung rügt der Kläger, die Beklagte hätte ihm im Hinblick auf seine vorbestehende, ihr bekannte chronische Niereninsuffizienz Ibuprofen nicht verschreiben dürfen. Zumindest hätte sie wegen der bestehenden Anwendungsbeschränkungen die Nierenfunktion engmaschig kontrollieren müssen. Das am 29.03.2016 eingetretene Nierenversagen sei nicht auf die Infektion mit Adenoviren zurückzuführen gewesen. Durch die Unterlassung der Erhebung ausreichender Kontrollbefunde habe die Verschlechterung der Niereninsuffizienz beim Kläger nicht mehr verhindert werden können. Da die Beklagte den Kläger nicht über das bei ihm bestehende höhere Risiko eines Nierenversagens bei dauerhafter Medikation mit Ibuprofen aufgeklärt habe, müsse von einem grob behandlungsfehlerhaften Vorgehen der Beklagten ausgegangen werden.

Er beantragt,

Das Urteil des Landgerichts Görlitz - Außenkammern Bautzen - vom 06.01.2023, Az.: 5 O 1421/20 aufzuheben und

1. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p. a. seit dem 05.09.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 204,07 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit ...

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