Leitsatz (amtlich)

Ist ein indischer Staatsangehöriger der deutschen Schriftsprache nicht mächtig, so ist es erforderlich, bei Ladung zur Hauptverhandlung die Warnung betreffend die drohenden Maßnahmen im Falle des unentschuldigten Ausbleibens in eine ihm verständliche Sprache zu übersetzen. Dieses Erfordernis ergibt sich bereits aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch des Betroffenen auf ein rechtsstaatliches faires Verfahren, wonach er in die Lage versetzt werden muss, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge zu verstehen und sich im Verfahren verständlich zu machen. (dtr)

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Entscheidung vom 28.09.2007; Aktenzeichen Qs 81/07)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die weitere Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 28. September 2007 aufgehoben.

  • 2.

    Der Haftbefehl des Amtsgerichts Döbeln vom 06. August 2007 wird aufgehoben.

  • 3.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

 

Gründe

Am 06. August 2007 hat das Amtsgericht Döbeln gegen den Angeklagten Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO erlassen und diesen am 21. August 2007 - nach Festnahme des Angeklagten - gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Die gegen den Bestand des Haftbefehls gerichtete Beschwerde des Angeklagten hat das Landgericht Leipzig mit Beschluss vom 28. September 2007 verworfen.

Die dagegen eingelegte weitere Beschwerde des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen landgerichtlichen Beschlusses sowie des Haftbefehls.

Gemäß § 230 Abs. 2 StPO kann gegen einen Angeklagten, dessen Fernbleiben von der Hauptverhandlung nicht genügend entschuldigt ist, Haftbefehl erlassen werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch eine ordnungsgemäße Ladung, die auch die Warnung nach § 216 Abs. 1 StPO enthält (Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 230 Rdnr. 18 m.w.N.).

Vorliegend ist zwar eine entsprechende Ladung an den Angeklagten zugestellt worden, jedoch lediglich in deutscher Sprache. Dies ist jedoch nicht ausreichend.

Der Angeklagte ist indischer Staatsangehöriger und jedenfalls der deutschen Schriftsprache nicht mächtig. Bei dieser Sachlage ist es erforderlich, bei Ladung zur Hauptverhandlung die Warnung des § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO betreffend die drohenden Maßnahmen im Falle des unentschuldigten Ausbleibens in eine ihm verständliche Sprache zu übersetzen. Dieses Erfordernis ergibt sich bereits aus dem durch das Grundgesetz gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG gewährleisteten Anspruch des Angeklagten auf ein rechtsstaatliches faires Verfahren, wonach der Angeklagte in die Lage versetzt werden muss, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge zu verstehen und sich im Verfahren verständlich zu machen. Hierzu zählen auch mit der Ladung zu verbindende Belehrungen, die in einer dem Angeklagten verständlichen Sprache erteilt werden müssen. Insbesondere fordert dies auch Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK, der als unmittelbar geltendes innerstaatliches Recht den Anspruch des Angeklagten auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren dahingehend konkretisiert, dass alle ihm gegenüber vorgenommenen maßgeblichen schriftlichen und mündlichen Verfahrensakte kostenlos in einer ihm verständlichen Sprache bekannt zu geben sind (vgl. zum Ganzen BGH NJW 2001, 309; OLG Bremen NStZ 2005, 527 m.w.N. auf Rechtsprechung und Literatur).

Im übrigen ist es irrelevant, ob sich der Angeklagte selbst um eine Übersetzung hätte bemühen müssen, da es allein auf das Vorliegen einer wirksamen Warnung gemäß § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO und nicht auf ein etwaiges Verschulden des Angeklagten ankommt.

Nach alledem kann der Haftbefehl keinen Bestand haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2571118

StRR 2008, 42

StV 2009, 348

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