Leitsatz (amtlich)

1. Zum Umfang der Darlegungspflicht des Tatgerichts bei nicht ausschließbar naheliegender Aussageabsprache der Belastungszeugen.

2. Zum notwendigen Feststellungsumfang bei einem Schuldspruch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

3. Zur Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung allein auf die Frage der Strafaussetzung bei kurzen Freiheitsstrafen im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 StGB.

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Entscheidung vom 04.10.2011; Aktenzeichen 7 Ns 740 Js 43234/10)

LG Chemnitz (Entscheidung vom 21.09.2011; Aktenzeichen 3 Ns 740 Js 24236/10)

 

Tenor

1. Auf die Revisionen des Angeklagten werden

a) das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 04. Oktober 2011 (Az.: 7 Ns 740 Js 43234/10) mit den Feststellungen in vollem Umfang aufgehoben

und

b) das Urteil desselben Gerichts vom 21. September 2011 (Az.: 3 Ns 740 Js 24236/10) aufgehoben

aa) soweit der Angeklagte des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in zwei Fällen schuldig gesprochen wurde (Tat vom 14. April 2010),

bb) im gesamten Rechtsfolgenausspruch.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Durchführung des Verfahrens und Entscheidung, auch über die Kosten beider Revisionen, an eine andere Berufungskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

I. 1. Am 04. April 2011 hat das Amtsgericht Chemnitz den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in zwei Fällen sowie wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von - unter Außerachtlassung des § 39 StGB - "dreizehn Monaten" verurteilt.

Seine hiergegen eingelegte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung, die sich allein gegen die Versagung der Bewährungsmöglichkeit gewendet hatte, verwarf das Landgericht Chemnitz mit Urteil vom 21. September 2011 (Az.: 3 Ns 740 Js 24236/10).

2. Desweiteren hat das Amtsgericht Chemnitz den Angeklagten am 14. April 2011 wegen "Beleidigung in sechs tateinheitlichen Fällen in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte", zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Die hiergegen vom Angeklagten eingelegte Berufung hat das Landgericht Chemnitz am 04. Oktober 2011 als unbegründet "zurückgewiesen" (Az.: 7 Ns 740 Js 43234/10).

3. Gegen beide Berufungsurteile richten sich die rechtzeitig eingelegten Revisionen des Angeklagten, der jeweils die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Revision gegen das Urteil vom 04. April 2011 als unbegründet zu verwerfen sowie das Urteil vom 14. April 2011 auf die Revision hin aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Chemnitz zurückzuverweisen.

4. Der Senat hat die Revisionsverfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (§4 StPO).

II. 1. Az.: 7 Ns 740 Js 43234/10:

Die zulässige Revision hat vorläufig Erfolg.

Die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe sich wie aus der amtsgerichtlichen Urteilsformel ersichtlich strafbar gemacht, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die zugrundeliegende Beweiswürdigung ist lücken- und daher sachlich-rechtlich fehlerhaft.

Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, der Angeklagte habe sich in der Hauptverhandlung nur insoweit (teilweise) eingelassen, als er behauptet habe, "A.C.A.B." bedeute "acht Cola, acht Bier" und nicht "all cops are bastards". Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zum Sachverhalt ergäben sich aber aus den Aussagen der Polizeibeamten, die übereinstimmend und ohne abgesprochen zu wirken den Sachverhalt wie im Urteil dargelegt geschildert hätten und auch keine Belastungstendenz "im Hinblick auf den Angeklagten" hätten erkennen lassen.

Diese Darlegungen zur Beweisaufnahme reichen angesichts der Komplexität des turbulenten Tatgeschehens mit einer Vielzahl von Beteiligten und ihren unterschiedlichen Wahrnehmungen aber nicht aus. Sie ermöglichen es dem Revisionsgericht nicht zu prüfen, ob das Berufungsgericht an das (Nicht)Vorliegen einer Aussageabsprache überspannte Anforderungen gestellt hat. In der Urteilsbegründung hätte vielmehr dargelegt werden müssen, weshalb das Landgericht angesichts dessen, dass die (vier) Zeugen übereinstimmende Aussagen getätigt haben, gleichwohl nicht von einer Aussageabsprache ausgegangen ist.

Solche Darlegungen haben sich vorliegend aufgedrängt, zumal das Tatgeschehen einen längeren Zeitraum umfasste und durch eine Vielzahl von Besonderheiten gekennzeichnet ist, weshalb nach der Lebenserfahrung jeder der vier Zeugen das Geschehen anders wahrgenommen haben wird. Maßgeblich für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen ist daher eine inhaltliche Übereinstimmung im Kern der Sache, nicht aber soweit es um Randgeschehnisse geht. Hierzu verhält sich das Urteil aber nicht.

Diese Anforderungen an die Urteilsbegründung nach § 267 Abs. 1 StPO sind nicht damit zu verwechseln, dass das Landgericht den gesamten Inhalt der Zeugenaussagen ausfüh...

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