Leitsatz (amtlich)

Für die Erstattungsfähigkeit anwaltlicher Reisekosten ist der Sitz der Partei, nicht der ihres Haftpflichtversicherers maßgeblich.

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Görlitz (Beschluss vom 08.12.2009; Aktenzeichen 1 O 515/08)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Erstbeklagten gegen den Kostenfest-setzungsbeschluss des LG Görlitz vom 8.12.2009 (1 O 515/08) wird zurückgewiesen.

2. Die Erstbeklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Wert der Beschwerde: 1.092,42 EUR

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Erstbeklagte firmiert als Wohnungsbaugenossenschaft. Sie sitzt in Görlitz. Der Kläger hat sie vor dem dortigen LG auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Er sei bei Schnee und Eis auf einem ihrer Görlitzer Hausgrundstücke gestürzt.

Die Klage wurde abgewiesen, der Kläger zugleich in die Kosten aus einem Wert von 163.723,35 EUR verurteilt (GA II 200 ff.).

Die Erstbeklagte hat ihre Anwaltskosten mit 6.060,67 EUR berechnet und diese zur Festsetzung angemeldet (GA II 209 ff.). Hierin sind anwaltliche Reisekosten zu 918 EUR (zzgl. Umsatzsteuer) enthalten. Das LG hatte die Sache am 6.5.2009 und am 21.10.2009 - mündlich- verhandelt. Prozessbevollmächtigte der Erstbeklagten waren Rechtsanwälte aus Köln. Diese haben beide Termine für die Erstbeklagte wahrgenommen und im Festsetzungsverfahren, auf Nachfrage der Rechtspflegerin, erläutert, der Haftpflichtversicherer der Erstbeklagten, der bedingungsgemäß die Prozessführungsbefugnis habe und für den sie ständig tätig seien, habe sie (auch hier) mandatiert, was nach einschlägiger BGHRechtsprechung die Ersatzfähigkeit der Reisekosten bedinge (GA II 215 f.).

Die Rechtspflegerin hat dem Festsetzungsersuchen nur zu 4.968,25 EUR entsprochen. Die Reisekosten seien abzusetzen, weil die Erstbeklagte am eigenen Sitz verklagt wurde und der des Versicherers ohne Belang sei.

Die Erstbeklagte hält dies für falsch und verweist mit ihrer Beschwerde auf eine Entscheidung des OLG Nürnberg, in der bei vergleichbarer Sachlage die Reisekosten anerkannt wurden.

Der Kläger meint, die Beschwerde müsse zurückgewiesen werden.

Ergänzend verweist der Senat, dem der Einzelrichter die Entscheidung übertragen hat, auf den angefochtenen Beschluss (GA II 220 f.) und die Schriftsätze der Parteien im Antragsund im Beschwerdeverfahren (GA II 209 ff.), aus denen sich allerdings der Sitz des Haftpflichtversicherers nicht ergibt.

II. Die bei Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 18.12.2009 am selben Tag per Fax beim LG zeitgerecht eingelegte, auch im Übrigen zulässige und dem Senat am 5.2.2010 vorgelegte Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die hier maßgebliche Vorgabe nach § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO versteht der BGH so, dass die auswärtige Partei einen an ihrem Sitz niedergelassenen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten bemühen darf, ohne erstattungsrechtliche Nachteile befürchten zu müssen. Dies gilt dann gleichermaßen bei Einschaltung eines Anwalts am dritten Ort. Dessen Reisekosten sind ersatzfähig, soweit sie diejenigen nicht übersteigen, die bei Beauftragung eines Anwalts am Sitz der auswärtigen Partei angefallen wären (grundlegend: BGH, B. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02; zum Anwalt am dritten Ort: BGH, B. v. 23.1.2007 - I ZB 42/06, Rz. 13). Folgerichtig hat der BGH in der beklagtenseits bemühten Entscheidung (B. v. 28.6.2006 - IV ZB 44/05) dem auswärtigen Beklagten, der einen Anwalt am dritten Ort zur Prozessvertretung bevollmächtigt hatte, den Ersatz der Reisekosten zugebilligt, die bei einer Anreise vom Unternehmenssitz des Beklagten angefallen wären.

All dies passt zum Streitfall nicht. Die Erstbeklagte sitzt in G, also am Sitz des erstinstanzlichen Prozessgerichts. Sie ist demnach keine "auswärtige Partei". Einer Partei, die an ihrem Sitz verklagt wird, sind indes die Reisekosten eines auswärtigen Anwalts in aller Regel nicht zu ersetzen. Auch das ist durch den BGH geklärt (B. v. 12.12.2002 - I ZB 29/02; B. v. 22.7.2007 - VII ZB 93/06). Daran ändert nichts, dass die Erstbeklagte ihrem Haftpflichtversicherer, der wohl nicht in Görlitz, möglicherweise ebenfalls in Köln sitzt, die Prozessführung überlassen hat. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO stellt auf die Prozesspartei ab, nicht auf den, der für sie den Prozess betreut und ihn ihr finanziert.

Die Einschaltung der in Köln niedergelassenen Rechtsanwälte war mithin nur dann eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung, wenn allein sie die Erstbeklagte im Prozess sachgerecht vertreten konnten. Dafür ist nichts ersichtlich. Es mag sein, was allerdings nicht einmal vorgebracht ist, dass die Kölner Anwälte auf das Haftpflichtrecht spezialisiert sind. Dass indes keiner der nicht wenigen Görlitzer Rechtsanwälte in der Lage wäre, sie im vorliegenden Rechtsstreit kompetent zu vertreten, ist fernliegend und wird folgerichtig von der Erstbeklagten nicht einmal behauptet.

Die Rechtspflegerin hat daher zu Recht angenommen, dass der (Ausnahme-)Tatbestand des § 91 Abs. 2 S. 1, Halbs. 2 ZPO im Streitfall nicht einschlägig ist.

Diese Sichtweis...

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