Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Zusammenstoß von Kfz und Bahn infolge geöffneter Schranken haftet der Bahnbetreiber im Grundsatz alleine. Eine Mithaftung auf Seiten des beteiligten Pkws kommt nur dann in Betracht, wenn der herannahende Zug für den Kfz-Fahrer erkennbar gewesen ist.

2. Die Beweislast für die optische und/oder akustische Erkennbarkeit eines herannahenden Schienenfahrzeugs für den Straßenverkehr einschließlich der Wahrnehmbarkeit akustischer Warnsignale, hier für ein rechtzeitiges Betätigen des Makrofons durch den Zugführer, liegt bei den beteiligten Eisenbahnunternehmen.

3. Es liegt grundsätzlich ein erhebliches Organisationsverschulden des für die Bahnstrecke verantwortlichen Unternehmens der Deutschen Bahn vor, wenn es an einem Bahnübergang in weniger als einem Monat zu 15 Störungsfällen und schließlich zu einer Kollision zwischen Bahn und Pkw wegen der defekten Bahnübergangssicherungsanlage (BÜSA) deswegen kommt, weil bis zur Klärung der Ursache der Störungsserie keine zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen für den betroffenen Bahnübergang getroffen worden sind.

4. Zur Erhöhung des Schmerzensgeldes aufgrund eines nicht nachvollziehbaren Regulierungsverhaltens (hier: Komplettverweigerung bei erheblicher Mitverantwortung für ein Unfallgeschehen trotz schwerer Verletzungen der Geschädigten).

 

Normenkette

HaftpflG §§ 1, 6; StVG § 17; StVO § 19

 

Verfahrensgang

LG Bückeburg (Urteil vom 27.09.2022; Aktenzeichen 2 O 19/21)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten zu 2) gegen das am 27. September 2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg - 2 O 19/21 - wird zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das das am 27. September 2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg - 2 O 19/21 - wird zurückgewiesen, soweit sie sich nicht gegen die Verurteilung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren nach einer 1,6 Gebühr in Höhe von 475,88 EUR richtet.

Auf die Berufung der Klägerin und der Beklagten zu 1) wird das am 27. September 2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg - 2 O 19/21 - im Tenor zu Ziffer 2. hinsichtlich des Haushaltsführungsschadens sowie zu Ziffer 4. hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten teilweise abgeändert und unter Berücksichtigung der übereinstimmenden Teilerledigungserklärung in Höhe von 22.666,67 EUR hinsichtlich des landgerichtlichen Urteilstenors zu 1. insgesamt neu gefasst wie folgt:

1. Die Beklagten zu 1) und 2) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 33.333,33 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 56.000,00 für die Zeit vom 14. Juli 2021 bis zum 20. Dezember 2022 und auf 33.333,33 EUR seit dem 21. Dezember 2022 zu zahlen.

2. Die Beklagten zu 1) und 2) werden weiter verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 4.795,98 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14. Juli 2021 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin jedwede weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus Anlass des Schienenbahnunfalls vom 02. August 2019 um 10:42 Uhr in R.-E., B. Straße, Bahnkilometer ..., Bahnstrecke von H. O. nach R., Gleis/Bahnübergang zu 100 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialleistungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

4. Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.085,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14. Juli 2021 zu zahlen.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

6. Die Kosten des Rechtsstreites (I. Instanz) werden den Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldnern auferlegt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte zu 1) zu 30 % und die Beklagte zu 2) zu 70 %.

Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf insgesamt 70.795,98 EUR festgesetzt, 70.795,98 EUR für die Berufung der Beklagten zu 2), 41.166,62 EUR für die Berufung der Beklagten zu 1) und 4.352,00 EUR für die Berufung der Klägerin.

 

Gründe

I. Die am ... 1952 geborene Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Schienenbahnunfall in Anspruch.

Am Freitag, den 02. August 2019, befuhr die Klägerin auf dem Weg zum Zahnarzt mit ihrem Pkw Opel Corsa, ..., in R.-E. die B. Straße Richtung B... Gegen 10:42 Uhr erreichte sie den ...

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