Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz, Amtspflichtverletzung durch Aufstellen eines Verkehrszeichens, Befahren eines Seitenstreifens als Fahrstreifen im Bereich einer Anschlussstelle, unklare Beschilderung, Absicherung einer Baustelle

 

Leitsatz (amtlich)

Es ist in der Regel sorgfaltswidrig, auf einer Bundesautobahn im Nahbereich einer Anschlussstelle (hier: weniger als 400m) zur Absicherung einer Baustelle das Verkehrszeichen 223.1 "Seitenstreifen befahren" aufzustellen.

Wenn ein Verkehrsteilnehmer, der Anordnung des Zeichens 223.1 folgend, den Seitenstreifen als rechte Fahrspur benutzt und dadurch im unmittelbaren Bereich der Anschlussstelle (hier: auf dem Beschleunigungsstreifen) einen Verkehrsunfall verursacht, kommt ein Schadensersatzanspruch gegen das Land wegen einer Amtspflichtverletzung in Betracht.

 

Normenkette

BGB § 839; GG Art. 34; StVO § 41

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 17.06.2005; Aktenzeichen 1 O 206/04)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des LG Hannover vom 17.6.2005 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 1.073,60 EUR.

 

Gründe

(abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO)

I. Der Kläger begehrt aus übergegangenem Recht von der Beklagten Schadensersatz wegen einer behaupteten Amtspflichtverletzung. Zugrunde liegt ein Verkehrsunfall am 10.7.2003 auf der BAB 2 Richtung Dortmund in Höhe der Anschlussstelle G. Zum Unfallzeitpunkt befand sich auf der BAB 2 in Fahrtrichtung Dortmund eine Wanderbaustelle, weil auf dem Mittelstreifen der Autobahn Mäharbeiten durchgeführt wurden. Die Mitarbeiter der Autobahnmeisterei der Beklagten hatten durch Verkehrszeichen 223.1 "Seitenstreifen befahren", das an einem Sicherungsanhänger angebracht war, die Mitbenutzung der Standspur als Fahrstreifen angeordnet. Dabei war das Zeichen 223.1 200m vor dem Ende der Standspur, die dann durch den Verzögerungsstreifen der Ausfahrt der Anschlussstelle G. abgelöst wurde, aufgestellt. Das Zeichen 223.2 "Seitenstreifen nicht mehr befahren" war nicht aufgestellt worden.

Der unfallbeteiligte Zeuge D. folgte mit dem von ihm gefahrenen Lkw der Anordnung des Zeichens 223.1 und wechselte ganz rechts auf die nunmehr als rechter Fahrstreifen freigegebene Standspur. Im unmittelbar anschließenden Bereich der Anschlussstelle G. fuhr er weiter "ganz rechts" und kreuzte dabei zunächst den Verzögerungsstreifen (die Ausfahrt). Im Anschluss daran kam es unmittelbar dort, wo die Auffahrt zur BAB in den Beschleunigungsstreifen übergeht, zur Kollision zwischen dem vom Kläger gefahrenen Pkw und dem Lkw des Zeugen D.

Der Kläger ist der Ansicht, der Verkehrsunfall sei dadurch entscheidend verursacht worden, dass die Mitarbeiter der Beklagten es pflichtwidrig unterlassen hätten, das Zeichen 223.2 "Seitenstreifen nicht mehr befahren" aufzustellen. Deshalb habe die Beklagte für den am Pkw entstandenen Schaden von insgesamt 1.954 EUR einzustehen.

Die Beklagte meint, der Kläger habe den Unfall selbst verschuldet. Er habe die Vorfahrt des Lkw verletzt und die notwendige Sorgfalt beim Auffahren auf die Autobahn nicht beachtet.

Das LG hat der Klage überwiegend stattgegeben, weil es eine Verletzung der der Beklagten obliegenden Amtspflicht zur Sorge für die Sicherheit und Klarheit im Straßenverkehr angenommen hat. Dem Kläger hat es allerdings wegen der von seinem Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr 20 % des geltend gemachten Schadens nicht zuerkannt. Im Übrigen hat es ein Mitverschulden des Klägers an dem streitbefangenen Verkehrsunfall verneint.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten.

II. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das LG hat i.E. zu Recht einen Schadensersatzanspruch des Klägers ggü. der Beklagten aus § 839 BGB, Art. 34 GG bejaht. Der Verkehrsunfall ist - allein - von der Beklagten verschuldet worden.

1. Die Verwendung des Zeichens 223.1 "Seitenstreifen befahren" durch die Mitarbeiter der Beklagten war unter den gegebenen Umständen grob sorgfaltswidrig.

a) Nach den unbestrittenen Angaben der Beklagten (Bl. 104 d.A.) endete der Baustellenbereich bei Kilometer 235,800, d.h. lediglich 200m vor dem Ende der Standspur und dem Beginn des Verzögerungsstreifens/der Ausfahrt der Anschlussstelle G. Aufgrund der von der Beklagten gewählten Beschilderung war damit von vornherein praktisch ausgeschlossen, dass Fahrzeuge, die der Anordnung des Zeichens 223.1 folgten und auf den Standstreifen wechselten, noch rechtzeitig vor Beginn der Anschlussstelle wieder auf den eigentlichen Hauptfahrstreifen zurückgelangen konnten. Denn schon bei einer Geschwindigkeit von nur 50 km/h benötigte man für eine Strecke von 200m lediglich knapp 15 Sekunden, in denen man zunächst auf die Standspur zu wechseln und diese dann wieder zu verlassen hätte. Bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von 75 km/h stünde sogar nur ein Zeitraum von weniger als 10...

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